Entwicklung und Vorhersage der Elbe-Hochwasserkatastrophe

Wetterlage
Verlauf und Entwicklung des verantwortlichen Tiefdruckgebietes
Tiefdruckgebiet ILSE mit Zentrum über Polen war für die extremen Regenfälle verantwortlich. Es war ein sogenanntes "Vb-Tief" (Fünf-B-Tief). "Vb" ist die Bezeichnung einer seltenen, aber recht "gefährlichen" Zugbahn von Tiefdruckgebieten in Europa.

Das Tief zog von Frankreich (Samstag, 10.08.2002) südlich an den Alpen vorbei ins nördliche Mittelmeer (Sonntag, 11.08.2002), weiter zum Balkan (Montag, 12.08.2002), nach Polen (Dienstag, 13.08.2002) und in Richtung Ukraine ab (Mittwoch, 14.08.2002). Wie in der Animation eindrucksvoll zu sehen ist, blieb die Okklusion des Tiefs ILSE mehrere Tage nahezu ortsfest. Von Westen her rückte ein neues und sich verstärkendes Hochdruckgebiet mit Zufuhr warmer Luft nach, so dass keine neuen Regenfälle die Situation verschlimmern konnten.

Das Tief sorgte für immense Regenmengen in Ost- und Südostdeutschland sowie in Österreich und Tschechien. Die Besonderheit in Deutschland war, dass kräftige Druckunterschiede dafür sorgten, dass sich die Regenwolken des Tiefs immer wieder am Erzgebirgsnordrand stauten und starker Dauerregen ausgelöst wurde. Eingelagerte Schauer- und Gewitterstaffeln sorgten für teils heftige gewittrige Starkregeneinschübe. Die Regenwolken wurden regelrecht am Erzgebirge "ausgequetscht", wie die  nachfolgende Radaranimation veranschaulicht. Durch die Rekordregensummen sind örtlich noch nie aufgetretene Wasserstände an Flüssen und Strömen registriert worden: Es entstand ein Jahrhunderthochwasser mit Milliarden Euro Schaden, vielen Verletzten, Toten und Menschen, die Ihr Hab und Gut verloren haben.

Niederschlagsradaranimation von Montag, den 12.08.2002

Niederschlagsentwicklung
Erläuterung der Niederschlagsintensitäten
Die Animation zeigt eindrucksvoll die Regengebiete des Unwettertiefs. Sie stauten sich immer wieder im Bereich Ost- Südostdeutschland und Tschechien und führten zu Rekordniederschlagsmengen. Durch die Drehbewegung des Tiefs wurden diese immer wieder gegen das Erzgebirge geschoben und dadurch gezwungen, in die Höhe zu steigen, weil das Bergland des Erzgebirges auf breiter Front 800 bis 1000 Meter hoch gelegen ist und die Spitzen (Fichtelberg) bis 1215 Meter hoch reichen. So kühlen sich die Wolken zwangsläufig durch ihren gezwungen Aufstieg in die Höhe weiter ab und es wird somit noch mehr Regen ausgelöst. Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit speichern als kalte Luft, so wird aufsteigende Luft in der Regel zur Kondensation, sprich Wolkenbildung und zum Regenausfall gezwungen.

Niederschlagsmengen
24stündige Niederschlagsmengen
Diese Karte zeigt eine Auswahl der 24stündigen Niederschlagsmengen von Samstag, 10.08.2002, 6 UTC bis Sonntag 11.08.2002, 6 UTC in Liter pro Quadratmeter. Besonders in der Mitte und im Süden gab es im Bereich schwülwarmer Luft durch einige Tiefausläufer bereits verbreitet kräftige Schauer, Gewitter und Regenfälle. Spitzenreiter sind hier:

  • 73,4 Liter/qm - Meckenbeuren (417 m, Baden-Württemberg)
  • 72,8 Liter/qm - Bad Wörishofen (685 m, Bayern)
  • 63,0 Liter/qm - Klippeneck (973 m, Baden-Württemberg)
  • 62,3 Liter/qm - Kempten (705 m, Bayern)
  • 55,1 Liter/qm - Schauinsland (1225 m, Baden-Württemberg)


24stündige Niederschlagsmengen
In den darauffolgenden 24 Stunden (Messzeitraum Sonntag, 11.08.2002, 6 UTC bis Montag, 12.08.2002, 6 UTC) kam es zum einen in Süddeutschland, zum anderen aber auch in der Mitte und im Osten zu kräftigen, teils gewittrigen und anhaltenden Regenfällen. Nachfolgend ein paar Spitzenreiter:

  • 128,4 Liter/qm - Leutkirch-Herlazhofen (672 m, Baden-Württemberg)
  • 105,7 Liter/qm - Sonthofen-Breiten (1098 m, Bayern)
  • 105,0 Liter/qm - Oberstdorf-Birgsau (953 m, Bayern)
  • 101,5 Liter/qm - Brocken (1142 m, Sachsen-Anhalt)
  •   98,6 Liter/qm - Spitzingsee (1088 m, Bayern)


24stündige Niederschlagsmengen
Von Montag, 12.08.2002, 6 UTC bis Dienstag 13.08.2002, 6 UTC ereigneten sich dann durch die schleifende Okklusion und den extremen Stauniederschlägen schwere Überschwemmungen aus dem Erzgebirge geraus, denn es gingen am Erzgebirge sowie am Bayerischen Wald und Böhmerwald zum Teil Rekordregenmengen nieder:

  • 312,0 Liter/qm - Zinnwald-Georgenfeld (877 m, Sachsen)
  • 243,6 Liter/qm - Altenberg/Erzgebirge (750 m, Sachsen)
  • 205,0 Liter/qm - Eppendorf/Sachsen (450 m, Sachsen)
  • 203,0 Liter/qm - Hartha (Tharandt) (353 m, Sachsen)
  • 194,0 Liter/qm - Bad Gottleuba (380 m, Sachsen)
  • 186,4 Liter/qm - Dippoldiswalde (356 m, Sachsen)
  • 166,5 Liter/qm - Marienberg (639 m, Sachsen)
  • 158,0 Liter/qm - Dresden-Flughafen (230 m, Sachsen)


24stündige Niederschlagsmengen
Bis zum Mittwoch, 14.08.2002 kamen am östlichen Erzgebirge und vor allem entlang der Oder noch größere Niederschlagsmengen zusammen, im Großen und Ganzen entspannte sich zumindest aus Sicht neuen Regens die Lage. Nachfolgend noch ein paar Niederschlagsmengen aus dem 24stündigen Messzeitraum bis Mittwochmorgen.

  • 88,0 Liter/qm - Goerlitz (MM) (220 m, Sachsen)
  • 59,9 Liter/qm - Groß Schacksdorf (85 m, Brandenburg)
  • 57,3 Liter/qm - Guben (50 m, Brandenburg)
  • 56,9 Liter/qm - Bad Muskau (125 m, Sachsen)
  • 53,5 Liter/qm - Manschnow (12 m, Brandenburg)


Gesamtniederschlagsmengen bis Mittwoch, 14.08.2002, 6 UTC
Messzeiträume an der Station: Zinnwald-Georgenfeld

  • 119 Liter/qm gemessen in 12 Stunden.
  • 312 Liter/qm gemessen in 24 Stunden.
  • 324 Liter/qm gemessen in 36 Stunden.
  • 380 Liter/qm gemessen in 48 Stunden.
  • 406 Liter/qm gemessen in 72 Stunden.

Für Deutschland sind dies die höchsten Niederschlagsmengen, die seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 150 Jahren registriert wurden. Etwa 92 Liter pro Quadratmeter wären in einem durchschnittlichen August in Zinnwald-Georgenfeld üblich. Der bisherige Rekord für 24stündige Niederschlagsmengen lag bei 277 Litern pro Quadratmeter und wurde an einer Messstation am Alpenrand registriert.

Auch in unseren östlich bzw. südöstlich gelegenen Nachbarländern kamen markante Niederschlagsmengen zusammen.
Nachfolgend eine Auswahl:

  • 195 Liter/qm - Churanow (Böhmerwald, Tschechien)
  • 134 Liter/qm - Linz (Österreich)


Durch die immensen Regenfälle traten zuerst kleine Bäche und Flüsse über die Ufer und Erzgebirgsbäche entwickelten sich zu reißenden Strömen. So nahm das Unheil zuerst im Erzgebirge seinen Lauf und ergoss sich dann 24 Stunden später im Großraum Usti und Dresden zu einer gewaltigen Hochwasserwelle zusammen.

Nachteilig zu sehen sind hier die bereits relativ hohen Ausgangswasserstände auch aus dem tschechischen Elbeeinzugsgebiet. Eine Hochwasserwelle der oberen Elbe (Tschechien) vereinigte sich mit den Erzgebirgsabflüssen auf deutscher Seite und so war die Voraussetzung für eine Flutkatastrophe in Polen, Tschechien, Österreich und Deutschland gegeben. Wie stark die Wasserstände des Elbestroms am Pegel Dresden anstiegen, können Sie der nachfolgenden Übersicht entnehmen.

Wasserstandsentwicklung am Elbe-Pegel Dresden

Wasserstandsentwicklung am Elbe-Pegel Dresden
Der Scheitel der Hochwasserwelle wurde am Samstag, den 17.08.2002 zwischen 8 und 10 Uhr mit 9,40 m festgehalten.

War diese Katastrophe vorhersagbar? - Ja!
Die Meteorologen von MeteoGroup haben zusammen mit den Prognosen ihres Hochwasserspezialisten Herrn Andreas Wagner in allen Sendungen und Produkten sowie in den Berichten für die DPA bereits Tage vorher auf die brisante Wetterentwicklung hingewiesen. Durch das feinmaschige Wetterstationsnetz und Niederschlagsradarbildern wurde zum Zeitpunkt des Starkregenereignisses im Erzgebirge von den Meteorologen des Wetterstudios Ost in Oderwitz in Sendungen des MDR- Fernsehens und Hörfunks und anderen Produkten auf die sich zuspitzende Überschwemmungsgefahr hingewiesen. Durch Herrn Wagner wurden detaillierte Wasserstandsprognosen für diverse Pegel an der Elbe und Abschätzungen für die Erzgebirgsbäche an die Bevölkerung weitergegeben.

Sowohl in den regionalen Wetterberichten der MeteoGroup-Wetterstudios als auch in der ARD-Wettersendung "Das Wetter im Ersten" ist u.a. durch Herrn Jörg Kachelmann 24 bis 48 Stunden vor dem Höhepunkt der Erzgebirgs- bzw. Elbeflutkatastrophe auf die Entwicklung hingewiesen worden. In den Livesendungen am Freitagabend, den 16.08.2002 hat Herr Kachelmann (u.a. in den Tagesthemen) die Wasserstandprognose von Herrn Wagner veröffentlicht, die einen möglichen Höchststand von 9,30 bis 9,40 Meter am Pegel Dresden in Aussicht stellte.

Da MeteoGroup auch mit RTL zusammenarbeitet, sind auch hier in den Wettersendungen die Wasserstandsprognosen für den Pegel Dresden bzw. die Elbe ausgestrahlt und in den Wettersendungen der Vortage zeitig vor Ereignisbeginn auf die drohende Unwetterlage hingewiesen worden.

Sind solche Ereignisse wie an der Elbe 2002 bzw. dem Oderhochwasser 1997 Einzelfälle und wirklich Jahrhundertereignisse? - Nein!
Wie wir sehen ereignen sich Hochwasserkatastrophen in Deutschland und Europa immer häufiger. Nachfolgend einige ausgewähllte Beispiele:

  • 1993 - Hochwasserkatastrophe an der Mosel
  • 1997 - Oderflut
  • 1999 - Rheinhochwasser mit Rekordwerten am Oberrhein
  • 2002 - Flutkatastrophe entlang der Elbe
  • 2005 - Katastrophenalarm in Bayern und Österreich durch Alpenhochwasser


Es ist davon auszugehen, dass in naher Zukunft weitere schwere Hochwasserereignisse auftreten werden und auch Stürme, Orkane sowie andere Wetterextreme an Häufigkeit und Intensität zunehmen werden (u.a. Häufung der Wetterextreme durch den Eingriff des Menschen in die Natur). Daher müssen Hochwasservorhersagen und Wetterstationsnetze ausgebaut werden. Je mehr Wetterdaten zur Verfügung stehen, desto besser ist die Wettervorhersage bzw. die Vorhersage von Hochwassern. Herrn Kachelmanns Devise ist: "Nur wer lokal misst, kann auch lokal vorhersagen."

Es müssen neue Wege der Hochwasservorhersage eingeleitet werden. Die Wetter- und Hochwasserwarnungen von MeteoGroup wurden fatalerweise teilweise in Frage gestellt oder von den Behörden ignoriert, weil der DWD hier immer noch eine Monopolstellung innehält. Sicherlich hätte die Bevölkerung bei den vergangenen Hochwasserereignissen der jüngsten Zeit noch effektiver gewarnt werden und Schäden sowie die Anzahl von Verletzten und Toten verhindert bzw. zumindest erheblich gemindert werden können. Insgesamt besteht noch ein erheblicher Bedarf, Unwetterwarnungen gezielter und frühzeitiger an die Katastrophenstäbe sowie der Bevölkerung nahezubringen. Dies gilt für Deutschland und auch für Europa. Dieses Vorhaben hat sich die MeteoGroup mit ihren europäischen Unwetterzentralen zum Ziel gesetzt.

Schadensbilanz Elbehochwasser

BERLIN/DRESDEN (ap): Die Flutkatastrophe an Elbe und Donau hat im Sommer 2002 Schäden von insgesamt 9,2 Milliarden Euro verursacht. Sie können in voller Höhe durch staatliche Hilfen, Spenden und Versicherungsleistungen ausgeglichen werden. Diese "gefestigte Schadensbilanz" legte Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe zur Verleihung von 3.000 Fluthelferorden in Dresden vor. Allein in Sachsen wurden Schäden von sechs Milliarden Euro angerichtet. Die Schadenhöhe bestätigt Berechnungen der Regierung von November. Erste Schätzungen gingen von rund 15 Milliarden Euro aus. Für Wiederaufbau und Schadenersatz stehen laut Stolpe 7,1 Milliarden Euro aus dem Bund-Länder-Fonds zur Verfügung, der durch Aufschub der Steuerreform finanziert wird. Dazu kämen 444 Millionen Euro aus dem EU-Solidaritätsfonds, schon geleistete Soforthilfen von Bund und Ländern sowie Mittel für den Katastropheneinsatz.


Diese Analyse wurde von Andreas Wagner und Stefan Laps, Meteorologen der Unwetterzentrale Deutschland, im Mai 2005 erstellt.

Quelle der Messwerte: Auswahl Messnetze MeteoGroup, DWD

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