Verifikation eines Tornados in Sachsen am 31.05.2008

Wetterlage am 31.05.2008
Ende Mai stellte sich eine Grenzwetterlage über Deutschland ein (05/2008 Schwergewitter): Eine Luftmassengrenze trennte feuchtwarme Luft über weiten Teilen des Landes von trockener Festlandsluft im Nordosten. Im Bereich dieser Luftmassengrenze entstanden von Sachsen bis in den Nordwesten Deutschlands zahlreiche Schauer und Gewitter:

Satellitenbild-Analyse
Abb. 1: Satellitenbild-Analyse

Zwei Gewitterherde fielen an diesem Tag besonders markant aus: Über Thüringen bildete sich ein Gewittercluster, in dessen Bereich ungewöhnlich hohe Regenmengen registriert wurden. Die zweite Superzelle (langlebige, rotierende Gewitterzelle) entstand im Erzgebirge, wo sie sich kaum bewegte und immer wieder regenerierte.

Niederschlagsradarbild
Skala für Niederschlagsradarbild
Abb. 2: Radarbild 31.05.2008, 16 Uhr MESZ

Der Tornado in Augustusburg
Am Rande dieser Superzelle entstand am späten Nachmittag östlich von Chemnitz im Bereich Augustusburg ein Tornado, der erhebliche Schäden anrichtete. Von der Ortschaft Witzschdorf aus (wenige Kilometer südwestlich) konnte die Familie Zimmermann den Tornado beobachten und fotografieren:

Tornado in Augustusburg
Abb. 3: Tornado in Augustusburg, Foto: Familie Zimmermann

Der Tornado richtete besonders in Augustusburg erhebliche Schäden an. Zahlreiche Bäume stürzten um und in einem Kleingartengelände wurden mehrere stabile Gartenlauben beschädigt oder zerstört. Eine Frau wurde schwer verletzt, als das Dach eines Gartenhäuschens ein anderes traf und dabei zerstörte.

Schäden in Augustusburg
Abb. 4: Schäden in Augustusburg, Foto: Bernd März

Schäden in Augustusburg
Abb. 5: Schäden in Augustusburg, Foto: Bernd März

Da bei solch einem Ereignis die auftretenden Windgeschwindigkeiten mit herkömmlichen Messmethoden nicht erfasst werden können und nur selten eine Wetterstation voll getroffen wird, wurde für die Einordnung von Tornadoschäden eine spezielle Schadensskala erstellt, die so genannte Fujita-Skala, die von F0 (unter 118 km/h) bis F5 (über 420 km/h) reicht. Nach den Schadensanalysen ist der Tornado von Augustusburg in die Stufe F1 einzustufen mit Spitzenböen um 150 km/h.

Warum entstand der Tornado?
Wie genau ein Tornado entsteht, ist bisher immer noch nicht geklärt. Man kennt aber einige Voraussetzungen, die die Bildung eines Tornados ermöglichen. Grundvoraussetzungen sind relativ feuchte Luft und eine labile Schichtung der Atmosphäre; diese ist dann gegeben, wenn die Temperatur mit der Höhe sehr rasch abnimmt. Dann können sich Schauer und Gewitter bilden, in deren Aufwindbereich der kleinräumige Wirbel entstehen kann. Nimmt der Wind mit der Höhe deutlich zu und dreht dabei auch noch, dann wird die rasch aufsteigende Luft in Drehbewegung versetzt und die Gewitterzelle beginnt zu rotieren. Unter bislang nicht vollständig geklärten Umständen konzentriert sich der rotierende Aufwind auf einen engen Bereich und der Tornado entsteht.

Am 31. Mai 2008 herrschte in nahezu allen Luftschichten der Atmosphäre lebhafter, aber nicht allzu starker Südostwind:

Windfeld in ca. 5,5 km Höhe (500 hPa-Niveau)
Abb. 6: Windgeschwindigkeiten am Morgen des 31.05.2008 in etwa 5,5 Kilometer Höhe

Am Boden herrschte dagegen nur schwacher Wind aus unterschiedlichen Richtungen vor. Das folgende Diagramm zeigt die Daten des Radiosondenaufstieges an der Station in Meiningen (Thüringen) am 31. Mai 2008, gegen 14 Uhr MESZ. Neben den Verläufen der Temperatur und des Taupunktes (fette, durchgezogene Linien) ist auf der rechten Seite auch die Änderung des Windes mit der Höhe dargestellt. Dem windschwachen Bodenwind folgt mit zunehmender Höhe lebhafter südöstlicher Wind.

Radiosondenaufstieg
Abb. 7: Radiosondenaufstieg 31.05.2008, Quelle: University of  Wyoming

Damit waren die Voraussetzungen für die Bildung eines Tornados erfüllt. Tatsächlich richtete am Nachmittag ein Tornado in Augustusburg, etwa 12 Kilometer östlich von Chemnitz, Schäden an und wurde sogar von mehreren Augenzeugen beobachtet. Auch gibt es Hinweise darauf, dass zumindest ein weiterer Teilwirbel aufgetreten ist.


War der Tornado von Augustusburg vorhersehbar?

Wird eine Gewitterzelle in Rotation versetzt, dann kann diese großräumige Drehbewegung auch auf Radarbildern sichtbar werden. Einfache Radarbilder zeigen nur die Stärke des auftretenden Niederschlages an. Nutzt man den Doppler-Effekt, bei dem das reflektierte Signal durch die unterschiedlichen Winde innerhalb der Zelle eine Frequenzänderung erfährt, dann erhält man ein Bild über Luftbewegungen innerhalb der Gewitterzelle. Man erkennt, ob sich ein Teilchen in der Gewitterzelle auf den Radarstandort zu bewegt oder ob es sich entfernt. Dadurch kann man auf Rotation im Bereich des Gewitters schließen. Den Tornado selbst kann man auf den Radarbildern nicht sehen, dafür reicht die Auflösung in der Regel nicht aus.

Im Fall Augustusburg zeichnete sich die Rotation der Gewitterzelle auf den Dopplerbildern gut ab. So warnte die Unwetterzentrale um 16:03 Uhr MESZ vor einem Gewitter der Warnstufe ROT. Im Text hieß es: „Die Blitzaktivität ist mit 404 registrierten Blitzen hoch. Es besteht lokal die Gefahr von großem Hagel, Starkregen und von Böen über 100 km/h und es besteht die Gefahr eines Tornados.“ Der Tornado von Augustusburg entstand gegen 16:30 Uhr, sodass eine Vorwarnzeit von deutlich mehr als 20 Minuten gegeben war, was ungewöhnlich hoch ist.

Solche Tornadowarnungen sind aber fast nur bei superzelligen Tornados möglich, die im Bereich starker Gewitter entstehen. Denn nur hier zeichnet sich der rotierende Bereich des Gewitters auch auf entsprechenden Dopplerradarbildern ab. Nichtsuperzellige Tornados können spontan im Bereich schwächerer Gewitter oder sogar aus Schauern hervorgehen. Diese sind kaum bis gar nicht vorhersagbar.


Allgemeines zu Tornados in Deutschland

Tornados treten in Deutschland viel häufiger auf als bisher gedacht, sie werden hier oft als „Windhosen“ bezeichnet, in früheren Jahren fielen auch Begriffe wie Wirbelwind, Windsbraut oder einfach Wirbelsturm, was aber allzu leicht zu Verwechslungen mit tropischen Wirbelstürmen (Hurrikane, Taifune) führen kann. Pro Jahr muss in Deutschland mit mehreren dutzend Tornados gerechnet werden. Genau wie in den berüchtigten Tornadoregionen in den USA („Tornado Alley“) sind die meisten auch in Deutschland nur schwach, verheerende Tornados gibt es nur selten.

Die Medienberichterstattung erzeugte in den zurückliegenden Jahrzehnten das schiefe Bild von verwüstenden Tornados in den USA und nur „harmloseren Windhosen“ bei uns. Um Verharmlosung und Verwirrung zu vermeiden, sollte nur noch der Begriff „Tornado“ Verwendung finden. Aufzeichnungen über die Verteilung und Häufigkeit der Tornados in Deutschland gibt es aber erst seit wenigen Jahren. Daher weiß man derzeit nicht, ob der drastische Anstieg der Tornadozahlen seit den 1990er Jahren nur auf die besseren Beobachtungen zurückzuführen ist oder ob es einen Einfluss durch die Klimaerwärmung gibt.


Diese Zusammenstellung wurde von Thomas Sävert, Meteorologe der Unwetterzentrale Deutschland, erstellt.

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