Schwergewitterlage in Deutschland am 03.07. und 04.07.2009

Der Juli 2009 startete bereits hochsommerlich warm mit Höchstwerten besonders im Westen des Landes von um oder etwas über 30 Grad. Auf der Vorderseite eines Tiefdruckwirbels über dem Nordatlantik wurde sehr warme, aber auch feuchte Luft subtropischen Ursprungs in weite Teile Deutschlands geführt. So bildeten sich in dieser sehr energiereichen Luftmasse bereits am 01. und 02.07. besonders tagsüber und primär über den Mittelgebirgen zahlreiche Gewitterzellen. Am 03.07. änderte sich die Wetterlage, da sich die Kaltfront des nordatlantischen Tiefs langsam dem Westen Deutschlands näherte. Im Vorfeld der Kaltfront entwickelte sich im Bereich der wärmsten Luftmasse ein kleines Gewittertief. Dadurch bildete sich eine vorlaufende Konvergenzzone aus und von den Mittagsstunden an bis in die Nacht hinein entstanden im gesamten Südwesten stellenweise schwere Gewitter mit extremen Starkregenfällen und örtlichem Hagelschlag.

Auswahl Höchsttemperaturen am 03.07.2009
Höchsttemperaturen am 03.07.2009
Abb. 1: Höchsttemperaturen am 03.07.2009

Schon die Modellprognosen am frühen Morgen des 03.07.2009 zeigten nahezu ideale Zutaten für eine Schwergewitterlage. Die energiereichste und labilste Luftmasse sollte sich im Süden und Westen Deutschlands befinden. Ein Schwerpunkt ließ sich dabei im äußersten Westen ausmachen, wie die folgende Karte verdeutlicht. Umso dunkler das Orange, desto energiereicher die Luftmasse. Zudem sorgte die sich annähernde Kaltfront mit dem Gewittertief dafür, dass diese Luftmasse „gehoben“ werden kann und folglich hochreichende Schauer- und Gewitterwolken entstehen können.

Äquivalentpotenzielle Temperatur im 850 hPa-Niveau
Abb. 2: Äquivalentpotenzielle Temperatur im 850 hPa-Niveau (Werte etwa über 50°C = feuchtwarm) sowie Labilität der Luftmasse am 03.07.2009 um 17 Uhr MESZ

Bereits am frühen Morgen des 03.07. um 06:30 Uhr MESZ erfolgten für weite Teile des Südwestens von der MeteoGroup Unwetterzentrale Vorwarnungen für schwere Gewitter. Im Folgenden ein Beispiel für eine Vor- und eine Akutwarnung für die Stadt Gelsenkirchen im Ruhrgebiet.

Vorwarnung (für die Warnstufe ROT) für Starkregenschauer/Gewitter

  • ausgegeben: 03.07.2009, 06:30 Uhr
  • gültig von 03.07.2009, 10:00 Uhr bis 04.07.2009, 00:30 Uhr
  • SMS-Schlagzeile: „Vorwarnung: lokal kräftige Schauer/Gewitter mit heftigem Starkregen u. Hagel“
  • E-Mail- und Fax-Warntext: ‘‘Am Freitag bilden sich in schwül warmer Luft bereits ab dem Vormittag örtlich kräftige Schauer  und Gewitter.  Etwa ab den Mittagsstunden und am Nachmittag muss dann vermehrt mit teils heftigen Gewittern gerechnet werden. Diese können teilweise blitzintensiv sein, lokal eng begrenzt auch mit sehr starkem Regen, Hagel und stürmischen Böen einhergehen. Auf Grund schwacher Strömungsverhältnisse werden sich die Schauer und Gewitter nur langsam verlagern oder nahezu ortsfest sein. Wo sie auftreten können stellenweise enorme Niederschlagsmengen zwischen 50 und 100 Litern pro Quadratmeter, vereinzelt auch noch darüber, innerhalb von wenigen Stunden zu lokalen Überflutungen führen. In der Nacht zum Samstag lässt die Neigung zu Schauern und Gewittern allmählich wieder nach.“


Akutwarnung (Warnstufe VIOLETT) für Starkregenschauer/Gewitter

  • SMS-Schlagzeile: „Unwetter, extremer Starkregen/Hagel, sehr große Überflutungsgefahr, Blitzrate  hoch, ist für KFZ-Bereich GE ortsfest.“
  • E-Mail- und Fax-Warntext: „Um 15:45 Uhr wurde in unmittelbarer Nähe des KFZ-Bereich GE ein Unwetter der Warnstufe VIOLETT registriert. Das Unwetter ist ortsfest und wird daher länger andauern. Zum Teil ist mit extremem Starkregen und Hagelschlag zu rechnen. Es besteht die Gefahr von einzelnen schweren Sturmböen. Sehr große Überflutungsgefahr! Die gemessene Blitzaktivität ist zurzeit hoch.“


Durch Gewitterzellen, die innerhalb einer sehr feuchten subtropischen Luftmasse entstehen, können enorme Regenmengen in kurzer Zeit niedergehen. Ziehen die kräftigen Schauer und Gewitter zudem noch sehr langsam, sind 30 bis 50 Liter pro Quadratmeter in einem Zeitraum von einer Stunde keine Seltenheit. Je wärmer die Luftmasse ist, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen und umso intensiver können die Starkregenfälle bei Gewittern ausfallen.

Eine Auswahl einstündiger Niederschlagsmengen vom 03.07.2009
von 11:00 bis 12:00 Uhr MESZ

  • 51,0 l/qm - Hayingen (Baden-Württemberg)


von 13:00 bis 14:00 Uhr MESZ

  • 66,3 l/qm - Sigmaringen-Laiz (Baden-Württemberg)
  • 46,3 l/qm - Bad Bergzabern (Rheinland-Pfalz)


von 15:00 bis 16:00 Uhr MESZ

  • 44,9 l/qm - Gevelsberg (Nordrhein-Westfalen)
  • 42,4 l/qm - Sprockhövel (Nordrhein-Westfalen)


von 16:00 bis 17:00 Uhr MESZ

  • 41,3 l/qm - Kleve (Nordrhein-Westfalen)


von 17:00 bis 18:00 Uhr MESZ

  • 40,6 l/qm - Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen)


Ausschnitt Niederschlagssummenkarte
24stündige Niederschlagssummenkarte
Abb. 3: 24stündige Niederschlagssummenkarte mit den Mengen vom 03.07.2009, 8 Uhr MESZ bis 04.07.2009 8 Uhr MESZ

Auswahl 12stdg. Niederschlagsmengen am 03.07.2009, 08 - 20 Uhr MESZ
(Ein Großteil der Niederschlagsmengen ist innerhalb nur weniger Stunden gefallen.)

  • 87,8 l/qm - Friedrichsthal (Saarland)
  • 73,0 l/qm - Sigmaringen-Laiz (Baden-Württemberg)
  • 69,0 l/qm - Neunkirchen (Saarland)
  • 65,3 l/qm - Kierspe (Nordrhein-Westfalen)
  • 61,0 l/qm - Neubulach-Oberhaugstett (Baden-Württemberg)
  • 58,5 l/qm - Heek-Nienborg (Nordrhein-Westfalen)
  • 58,0 l/qm - Lauda-Königshofen-Heckfeld (Baden-Württemberg)
  • 57,5 l/qm - Castrop-Rauxel (Nordrhein-Westfalen)
  • 57,0 l/qm - Düsseldorf-Flughafen (Nordrhein-Westfalen)
  • 56,0 l/qm - Kleve (Nordrhein-Westfalen)
  • 55,0 l/qm - Bad Bergzabern (Rheinland-Pfalz)
  • 54,2 l/qm - Breckerfeld (Nordrhein-Westfalen)
  • 54,0 l/qm - Ludwigsburg (Baden-Württemberg)
  • 52,4 l/qm - Gevelsberg (Nordrhein-Westfalen)
  • 52,0 l/qm - Neunkirchen-Wellesweiler (Saarland)


Warum verlagerten sich die Gewitterzellen sehr langsam?
Schauer- und Gewitterzellen haben im Sommer nicht selten eine vertikale Ausdehnung von über 10 km hinaus. Mit welcher Geschwindigkeit sie sich verlagern, ist abhängig von den Windgeschwindigkeiten in höheren Troposphärenschichten. Der folgende Radiosondenaufstieg zeigt, dass am 03.07.2009 in der gesamten unteren Atmosphäre nur sehr geringe Windgeschwindigkeiten von etwa 5 bis 15 kn (entspricht etwa 9 bis 27 km/h) herrschten. Somit zogen die kräftigen Gewitter nur sehr langsam und konnten stellenweise enorme Niederschlagsmengen und Hagelmassen hinterlassen. Weht der Wind in diesem Bereich deutlich schneller, würden sich mögliche Schauer- und Gewitterzellen rasch verlagern und folglich auch geringere Niederschlagsmengen an einem Ort bringen.  

Radiosondenaufstieg vom 03.07.2009
Abb. 4: Radiosondenaufstieg vom 03.07.2009, Quelle: University of Wyoming

Was ist ein Radiosondenaufstieg?
Mit einem Radiosondenaufstieg werden Messdaten aus der Atmosphäre gewonnen. Die Radiosonde wird von einem mit Gas gefüllten Wetterballon getragen und steigt in Höhen bis zu 35 Kilometer in die Atmosphäre auf. Sie sammelt dabei kontinuierlich Daten, wie zum Beispiel Luftdruck, Feuchte, Windgeschwindigkeit sowie Temperatur, die drahtlos an eine Bodenstation gesendet werden. Diese Messdaten werden anschließend in Diagrammen wie in Abbildung 3 dargestellt und helfen den Meteorologen, sich einen Überblick über den vertikalen Aufbau der unteren Atmosphärenschichten zu verschaffen. Radiosondenaufstiege erfolgen an vielen Orten der Welt, meist zu den gleichen Terminen um 12 und 00 UTC (koordinierte Weltzeit, 12 UTC = 13 Uhr MEZ, bzw. 14 Uhr MESZ).

In einigen nördlichen Stadtteilen von Essen sowie in angrenzenden Stadtbezirken von Gelsenkirchen hinterließ eine langsam ziehende kräftige Gewitterzelle enorme Hagelansammlungen. Am 03.07. abends mussten neben der Feuerwehr Räumfahrzeuge des Winterdienstes eingesetzt werden, um die Straßen wieder frei zu bekommen. Noch am darauf folgenden Tag, 24 Stunden nach dem Unwetter, türmte sich am S-Bahnhof in Essen-Katernberg der Hagel stellenweise über einen halben Meter hoch.

Hagelansammlungen am Bahnhof in Essen-Katernberg
Abb. 5: Hagelansammlungen am Bahnhof in Essen-Katernberg

Hagel in großen Mengen sowie mit einem großen Durchmesser tritt besonders in den Sommermonaten auf. Nur Gewitterzellen, die eine hohe vertikale Ausdehnung haben und in sehr energiereicher Luftmasse entstehen, können derartige Begleiterscheinungen hervorbringen.

Einen Tag später, also am 04.07., zog die Kaltfront weiter in die östlichen Landesteile. An diesem Tag waren besonders die Gebiete von Vorpommern bis in das östliche Brandenburg, in sehr labiler und energiereicher Luftmasse, von heftigen Gewittern mit Starkregen betroffen. Auch hier verlagerten sich die Gewitterzellen nur sehr langsam oder bildeten sich vor Ort immer wieder neu. Lokal summierten sich die Starkniederschläge innerhalb weniger Stunden auf über 100 Liter pro Quadratmeter.

Äquivalentpotenzielle Temperatur im 850 hPa-Niveau
Abb. 6: Äquivalentpotenzielle Temperatur im 850 hPa-Niveau (Werte etwa über 50°C = feuchtwarm) sowie Labilität der Luftmasse am 04.07.2009 um 17 Uhr MESZ

Eine Auswahl einstündiger Niederschlagsmengen vom 04.07.2009

von 14:00 bis 15:00 Uhr

  • 36,7 l/qm - Frankfurt (Oder) (Brandenburg)


von 16:00 bis 17:00 Uhr MESZ

  • 38,5 l/qm - Heckelberg (Brandenburg)


von 17:00 bis 18:00 Uhr MESZ

  • 39,5 l/qm - Feldberg/Mecklenburg (Mecklenburg-Vorpommern)


Auswahl 12stdg. Niederschlagsmengen am 04.07.2009, 08 - 20 Uhr MESZ
(Ein Großteil der Niederschlagsmengen ist innerhalb nur weniger Stunden gefallen.)
96,0 l/qm - Frankfurt (Oder) (Brandenburg)
93,0 l/qm - Feldberg/Mecklenburg (Mecklenburg-Vorpommern)
78,0 l/qm - Heckelberg (Brandenburg)
60,0 l/qm - Eberswalde (Brandenburg)
48,0 l/qm - Coschen (Brandenburg)
46,0 l/qm - Wustrow (Brandenburg)

Ausschnitt Niederschlagssummenkarte
24stündige Niederschlagssummenkarte
Abb. 7: 24stündige Niederschlagssummenkarte mit den Mengen vom 04.07.2009, 8 Uhr MESZ bis 05.07.2009 8 Uhr MESZ

Abschließend zeigen wir Ihnen noch einige Bilder aus Krefeld, die uns Dimitrij Kishko zugesandt hat. Nach Auswertung unserer Niederschlagssummenkarte sind im Bereich von Krefeld am 03.07.2009 örtlich über 100 Liter Regen pro Quadratmeter innerhalb weniger Stunden gefallen. Folglich waren zahlreiche Straßenzüge großflächig überflutet.

Überflutungen nach schwerem Gewitter in Krefeld
Abb. 8: Überflutungen nach schwerem Gewitter in Krefeld

Überflutungen nach schwerem Gewitter in Krefeld
Abb. 9: Überflutungen nach schwerem Gewitter in Krefeld

Überflutungen nach schwerem Gewitter in Krefeld
Abb. 10: Überflutungen nach schwerem Gewitter in Krefeld

Diese Zusammenstellung wurde von Fabian Ruhnau, Meteorologe der Unwetterzentrale, im Dezember 2009 erstellt.

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