Orkantief KYRILL - 18., 19.01.2007 (Tief Nr. 33) - Der schwerste Orkan seit Jahrzehnten

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Diese Verifikation ist auf Grund der besonderen Schwere des Ereignisses sehr ausführlich und umfangreich. Daher haben wir einzelne Inhalte auf Unterseiten aufgeteilt. Damit Sie schneller Ihr Interessensgebiet finden können, haben wir für Sie nachfolgend eine kleine Übersicht über vertiefende Themen:


Wetterlage

Bodendruckanalyse
Die westliche Höhenströmung brach quasi den ganzen Januar nicht ab. Ab 17.1. abends um 19 Uhr MEZ beeinflusste zunächst Sturmtief JÜRGEN mit Wind und Regen das Wetter in Mitteleuropa. Der Wirbel KYRILL ist ganz links im Kartenausschnitt über dem Atlantik zu erkennen. Er führte reichlich Höhenkaltluft auf seine Rückseite mit, sodass davon auszugehen war, dass sich das Tief im weiteren Verlauf intensivieren würde.

Bodendruckanalyse
In der Nacht zum 18.1. um 1 Uhr MEZ lag eine Luftmassengrenze über Mitteleuropa, welche milde Luft im Süden von kühlerer Luft im Norden trennte. Diese LMG ging über Großbritannien bald in die Frontalzone des zum Sturmwirbel heranwachsenden Tiefs KYRILL über, das sich mit einem Kerndruck vom 962 hPa gemäß der sehr starken Höhenströmungsverhältnisse (150 bis 170 kn (278 bis 315 km/h) im 500 hPa-Niveau) weiter nach Ostsüdost bewegte.

Bodendruckanalyse
Im Laufe der Morgenstunden des 18.1. hatte sich zwischen KYRILL und einem kräftigen Hoch im Raum Spanien/Nordwestafrika ein sehr markanter Druckgradient aufgebaut, welcher im Warmsektor von KYRILL bereits zu orkanartigen Böen an den Küsten von Irland, Südengland und Nordfrankreich führte, sowie zu schweren Sturmböen bis in Flachland. Mit weiterer Zunahme der Druckgegensätze entwickelte sich alsbald ein Orkanfeld, sodass KYRILL als Orkantief eingestuft werden konnte. Im Westen und Südwesten Deutschlands nahm der Druckgradient auch allmählich deutlich zu. Der Osten profitierte zu diesem Zeitpunkt noch von dem Hochkeil zwischen JÜRGEN und KYRILL mit deutlich abgeschwächteren Winden. Ein kompaktes Regengebiet breitete sich zu diesem Zeitpunkt mit der Warmfront des Orkanwirbels über den Westen Deutschlands aus und führte vor allem in Mittelgebirgsnähe zu ergiebigen Regenfällen. Mit der Warmfront des Tiefs gelangt sehr milde Atlantikluft nach Südengland, Nordfrankreich sowie in den Süden und Westen Deutschlands.

Bodendruckanalyse
Bis zum Mittag des 18.1. hatte Orkantief KYRILL ein flächendeckend schweres Sturmfeld, wobei verbreitet schwere Sturmböen und orkanartige Böen von Südengland über Nordfrankreich, BeNeLux, Deutschland, Schweiz bin in Teile Österreichs gemessen wurden. Gebietsweise fiel länger andauernder und ergiebiger Regen.

Bodendruckanalyse
Im Laufe der Nachmittags- und Abendstunden überquerte die Kaltfront KYRILLs Deutschland von Nordwest nach Südost mit einer Linie organisierter konvektiver Umlagerungen in Form schauerartig verstärkten Regens, der teils von Gewittern begleitet war. Durch den markanten Druckgradienten einerseits und der Kaltfront andererseits wurden gebietsweise Orkanböen bis ins Flachland erreicht. Hinter der Kaltfront zogen noch eine Konvergenz und die rückgeführte Okklusion des Tiefs in den Nordwesten Deutschlands, welche ebenfalls mit schauerartig verstärkten Regenfällen einhergingen.

Bodendruckanalyse
Auf der Rückseite des rasch zum Baltikum abziehenden Orkantiefs beruhigte sich das Wetter in der Nacht auf den 19.1. zusehends. Orkanböen traten dann vorranging noch im Süden bzw. in den Mittelgebirgen auf. Dennoch blieb ein markanter Druckgradient bestehen, sodass weiterhin einzelne Sturmböen bis ins Flachland Nord- und Westdeutschlands auftraten. Eine im Strömungsfeld eingelagerte Wellenstörung erreichte den Südwesten und Westen des Landes mit neuerlichem Regen und tagsüber mit stürmischem Wind.

Analyse des Orkanfeldes
Analyse des Orkanfeldes (10 m)
Diese Animation zeigt den Verlauf des schweren Sturmfeldes an Hand der vom Modell UKMO NA analysierten mittleren Windgeschwindigkeiten in 10 Metern Höhe und an Hand des Luftdruckverlaufs.

Analyse des Orkanfeldes (925 hPa-Niveau)
Hier sehen Sie das Windfeld im 925 hPa-Niveau. Die Isohypsen zeigen an, in welcher Höhe in Dekametern der Luftdruck 925 hPa betrug bzw. in welcher Höhe das Windfeld anzutreffen war. Die Lücken im Westen und Süden zeigen die Orographie.

Analyse des Orkanfeldes (850 hPa-Niveau)
Und hier die Animation des Starkwindfeldes im 850 hPa-Niveau. Solch flächendeckend und dazu noch hohe Windgeschwindigkeiten hat es seit Bestehen der Unwetterzentrale noch nicht gegeben.

Niederschlagsradaranimation
Niederschlagsradaranimation von Orkantief KYRILL
Skala für die Niederschlagsintensität
Hier können Sie nachvollziehen, wie sich die Niederschlagsgebiete des Orkantiefs KYRILL verhalten haben. Zu Beginn der Animation liegt die Kaltfront des Sturmtiefs JÜRGEN am späten Abend des 17.01.2007 noch quer über Deutschland, die von Westen aber schnell in die Warmfront des Tiefs KYRILL übergeht und im Folgenden von Westen her den Übergang zu länger andauerndem und ergiebigem Regen andeutet. Besonders auffällig ist die Kaltfront, die ab den Mittagsstunden Deutschland von Nordwesten her erfasst. Bei ihrer Passage traten die stärkten Windböen auf, wie Sie später noch an Hand von Messwerten nachvollziehen können. Zwischenzeitliche Störungen in der Animation erklären sich bei dieser Wetterlage von selbst.


Niederschlagssummenkarte
Niederschlagssummenkarte
Diese MeteoGroup-Niederschlagssummenkarte zeigt die 24stündigen Mengen zwischen dem 18. und 19.1. von 7 bis 7 Uhr MEZ. Auffällig ist zum Einen der flächendeckend reichlich gefallene Regen im Nordwesten und Norden, zum Anderen die typischen orographischen Staueffekte im Bereich der Mittelgebirge. Eine Auswahl konkreter Messwerte finden Sie nachfolgend.

Messwerte: Niederschlagsmengen 39stündiger Messzeitraum
vom 17.1. 21 Uhr bis zum 19.1. 12 Uhr
Quellen der Daten: Messnetze MeteoGroup, DWD, Auswahl

  • 123,0 l/m² - Höchenschwand (Schwarzwald)
  • 118,5 l/m² - Krunkelbachhütte (Schwarzwald)
  •   95,9 l/m² - Schierke/Harz
  •   94,5 l/m² - Todtmoos/Schwarzwald
  •   88,2 l/m² - Braunlage/Harz
  •   84,7 l/m² - Attendorf-Neulisternohl
  •   83,6 l/m² - Monschau-Kalterherberg (Eifel)
  •   79,8 l/m² - Driedorf (Westerwald)
  •   77,2 l/m² - Rothaus/Schwarzwald
  •   76,9 l/m² - Bad Berleburg Stünzel (Siegerland, Rothaargebirge)
  •   75,9 l/m² - Nordhelle (Ebbegebirge)
  •   75,4 l/m² - Kalterherberg (Eifel)
  •   75,1 l/m² - Ormont (Eifel)
  •   74,3 l/m² - Wenden-Dörnscheid (Bergisches Land / Siegerland)
  •   74,0 l/m² - Neuhaus am Rennweg (Thüringer Wald)
  •   71,3 l/m² - Battenberg-Hof Karlsburg
  •   69,3 l/m² - Porta Westfalica (Wiehengebirge)
  •   68,9 l/m² - Siegen (Siegerland)
  •   68,8 l/m² - Dietzhoelztal-Mandeln (Rotaargebirge)
  •   68,3 l/m² - Freudenstadt (Schwarzwald)
  •   67,9 l/m² - Schönau/Schwarzwald
  •   67,6 l/m² - Burbach (Siegerland/Westerwald)
  •   66,0 l/m² - Olpe (Biggesee)
  •   65,9 l/m² - Freisener Höhe (Schwarzwälder Hochwald)
  •   65,6 l/m² - Netphen (Rothaargebirge)
  •   64,0 l/m² - Kirtorf-Wahlen
  •   63,7 l/m² - Schleiden-Schöneseiffen (Eifel)
  •   63,4 l/m² - Schneifelforsthaus
  •   62,8 l/m² - Gebhardshain
  •   61,6 l/m² - Neuenrade (Sauerland)


Satellitenbilder
Infrarot-Satellitenbild
Dieses IR-Satellitenbild vom 18.1. morgens um 7 Uhr MEZ zeigt das Sturmtief JÜRGEN mit ausgeprägtem Wirbel über Skandinavien bis nach Mitteleuropa reichend und den Orkanwirbel KYRILL nördlich von Irland. Die massive Warmluftadvektion, die mit diesem Tief einherging, ist hier durch hochreichende und kompakte Bewölkung bis in den Norden Spaniens zu erkennen.

Infrarot-Satellitenbild
Am 18.1. mittags um 13 Uhr MEZ befand sich der Kern des Tiefs über der Nordsee. Zu dieser Zeit erreicht die Kaltfront gerade die ostfriesischen Inseln.

Visible-Satellitenbild
Hier ein sichtbares Bild des Orkantiefs vom Nachmittag des 18.1. um 15 Uhr MEZ. Das Zentrum ist weiterhin über der südlichen Nordsee anzutreffen. In der Mitte und im Süden Deutschlands macht sich noch hochreichende Bewölkung mit reichlich Regen bemerkbar.

Infrarot-Satellitenbild
Am Abend des 18.1. um 18:30 Uhr MEZ lag das Zentrum des Tiefs über Dänemark. Die Kaltfront überquert zu dieser Zeit die Mitte Deutschlands mit einem Band schauerartig verstärkten Regens, der teilweise von Gewittern begleitet wurde.


Schadensbilanz

Das Orkantief KYRILL beeinflusste mit seinem flächendeckenden Sturm- und Orkanfeld ganz Deutschland und weite Teile Mitteleuropas. Es war das stärkste flächendeckende Ereignis seit mehr als 20 Jahren. Grundsätzlich darf vorweg genommen werden, dass frühzeitig präzise Unwetterwarnungen erfolgten und sich Deutschland geordnet gegen die Gefahr wappnen konnte. Die meisten Schulen und Behörden ließen ihre Schüler bzw. Mitarbeiter frühzeitig heim fahren, der Bahnverkehr wurde gestoppt, zahlreiche Straßen gesperrt.

Der Orkan KYRILL richtete landesweit große Schäden an, die sich nach Angaben der Versicherungswirtschaft auf etwa 4,7 Millarden Euro belaufen. Es gab allein elf Tote in Deutschland (davon beispielsweise fünf allein in NRW, zwei in Bayern) und mindestens 43 Tote europaweit. Zahlreiche Bäume wurden entwurzelt, Wälder und vereinzelt sogar ganze Landstriche verwüstet, Dächer abgedeckt und Fahrzeuge beschädigt. Durch die starken Regenfälle oder lokale Hochwässer mussten einige Keller, Wohnungen, Geschäfte oder Straßentunnel leergepumpt werden.

In Lutherstadt Wittenberg bestätigte sich der Verdacht eines F2- oder sogar eines F3-Tornados und darüber hinaus richteten auch in Brandenburg zwei F3-Tornados erhebliche Schäden an. Nur allein durch die drei lokalen Wirbelstürme wurden Schäden in Höhe mehrerer Dutzend Mio. Euro angerichtet. Zahlreiche Haushalte waren durch beschädigte Oberlandleitungen stundenlang ohne Stromversorgung.

Am Berliner Hauptbahnhof stürzte ein 40 Tonnen schwere Stahlträger ab, welcher jedoch niemanden verletzte. Erst vor acht Monaten war der Hauptbahnhof für rund eine Mrd. Euro umgebaut worden. Durch die bundesweite Einstellung des Zugverkehrs verbrachten viele Menschen die Nacht auf den 19.01.2007 in Zügen oder auf Feldbetten in Notlagern und selbst tagsüber nach dem großen Sturm gab es immer noch zahlreiche Zugverspätungen und -ausfälle.

Europaweit strich die größte deutsche Airline am 18.01.2007 331 Flüge. THW-Helfer und Feuerwehr-Beamte waren zu Tausenden im Einsatz. Der Schulunterricht fiel an zahlreichen Schulen in Bayern am 19.01.2007 aus. Nach Angaben der Forstverwaltungen der betroffenen Bundesländer betrug der Gesamtforstschaden mehr als 30 Mio. Festmeter. Das ist in etwa vergleichbar mit den Schäden nach Orkan LOTHAR im Dezember 1999.


Diese Analyse wurde von Manfred Spatzierer, Thomas Sävert und Stefan Laps, Meteorologen der Unwetterzentralen Deutschland und Österreich, im Januar 2007 erstellt.

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