Starke Tornados auch in Deutschland

Tornados, bei uns oft auch Windhosen genannt, stellen in Deutschland immer noch ein deutlich unterschätztes Phänomen dar. Aus Fernsehberichten kennt man die spektakulären Aufnahmen von Sturmjägern in den USA, aber kaum jemand weiß, dass Tornados jeder Stärke auch bei uns in Deutschland vorkommen. Solche kleinräumigen Wirbelstürme können innerhalb einer schmalen Schneise gewaltige Schäden anrichten, Gebäude und Wälder können zerstört und sogar große Gegenstände wie schwere Fahrzeuge über weitere Strecken durch die Luft transportiert werden.

 

Abb. 1: Zerstörungen durch einen Tornado, Foto: Thomas Sävert

 

Pforzheim-Tornado 1968

Der bekannteste Wirbel in Deutschland ist der Tornado von Pforzheim, der am 10. Juli 1968 in der Stadt und in deren Umgebung mehr als 2000 Häuser beschädigte und zwei Menschenleben forderte. Die Schäden waren enorm. Der Tornado wurde aufgrund der Schäden nach der international gebräuchlichen Fujita-Skala (siehe unten) in die zweithöchste Stufe F4 mit Windgeschwindigkeiten von 335 km/h und mehr eingestuft. Er galt lange Zeit als der bisher letzte Tornado dieser Stärke in Deutschland.

 

F4-Tornado in Brandenburg, Mai 1979
Erst durch langwierige Recherchen konnte im März 2010 nachgewiesen werden, dass es am 24. Mai 1979, also mehr als 10 Jahre nach dem Tornado von Pforzheim, einen ähnlich starken Sturm in Brandenburg gab. Betroffen war der Süden Brandenburgs, wo ein Tornado mit Unterbrechungen eine mindestens 56 Kilometer lange und 100 bis knapp 400 Meter breite Spur der Verwüstung hinterließ. Extrem waren dabei die Verfrachtungen von größeren Gegenständen.

 

Besonders heftig waren die Auswirkungen in der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) Prestewitz, nördlich von Bad Liebenwerda. Dort wurden Gebäude zerstört und 10,5 Tonnen schwere Mähdrescher durch die Luft gewirbelt. Außerdem wurden Türen über eine Strecke von mehr als vier Kilometern verfrachtet. Im weiteren Verlauf brachen selbst Strommasten aus Beton ab, Teiche wurden komplett leer gesogen und Bäume in den zerstörten Schneisen zeigten erste Anzeichen von Entrindung. Die Entrindung ist ein typisches Anzeichen für einen sehr starken Tornado, sie kommt durch einen Sandstrahleffekt zustande, bei dem Kleinsttrümmer die Baumrinde förmlich abschmirgeln. Insgesamt wurden durch den Tornado in Südbrandenburg mindestens sechs Menschen verletzt. Die Medien berichteten über das Ereignis nur wenig, in der regionalen Presse tauchten solche Naturkatastrophen damals nur am Rande auf.

 

Beim Extremwetterkongress in Bremerhaven stellten der Unwetterexperte Thomas Sävert von der MeteoGroup-Unwetterzentrale und Dr. Bernold Feuerstein, stellv. Direktor des European Severe Storms Laboratory (ESSL) ihre Rechercheergebnisse über den zuvor kaum dokumentierten Tornado den Kollegen und der Öffentlichkeit vor. Abschätzungen zu den Flugeigenschaften der Mähdrescher und den dafür benötigten Windgeschwindigkeiten ergaben, dass der Tornado im Mai 1979 mit der Stufe F4 mindestens die Stärke des Pforzheim-Tornados erreichte.

 

Der Tornado in Brandenburg war nicht der einzige am Himmelfahrtstag 1979 in Deutschland. Bisher sind insgesamt mindestens 5 Tornados bekannt und weitere Verdachtsfälle werden noch untersucht.

 

Allgemeines über Tornados

Tornados treten in vielen Regionen der Erde auf. Besonders in den mittleren Breiten können sie sich bilden, in den Tropen kommen sie dagegen seltener vor. Die stärksten und verheerendsten Tornados werden in der so genannten „Tornado Alley“ im Mittleren Westen der USA, in Bangladesch und in Teilen Europas beobachtet. Europaweit ist besonders ein Streifen von Nordfrankreich über Benelux und die Nordhälfte Deutschlands bis nach Polen, den Baltischen Staaten, Weißrussland und Russland betroffen. Insgesamt werden in Europa pro Jahr etwa 300 Tornados registriert, die Dunkelziffer ist hoch. Beobachtet werden immer wieder auch sehr starke Tornados, zuletzt traten im August 2008 in Nordfrankreich und in Polen zwei Wirbel der Stärke F4 mit Windspitzen von 335 km/h und mehr auf. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben.

 

In Deutschland ziehen in jedem Jahr mehrere Dutzend Tornados über das Land. Die genaue Zahl steht noch lange nicht fest, da erst seit Ende der 1990er Jahre wieder verstärkt Tornadoforschung bei uns betrieben wird. Das war früher anders: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Deutschland weltweit führend auf dem Gebiet. Unter anderem engagierten sich der Meteorologe und Geophysiker Alfred Wegener und in den 1930er Jahren Prof. Johannes Peter Letzmann bei der Untersuchung von den damals noch als Windhosen oder Tromben bezeichneten kleinräumigen Wirbeln. Die Tornadoforschung kam durch den Zweiten Weltkrieg völlig zum Erliegen und im beginnenden Medienzeitalter entstand ab den 1960er Jahren der Eindruck, dass in den USA viele starke Tornados und bei uns vergleichsweise „harmlose“ Windhosen auftreten.

 

Dieser Eindruck ist falsch. Die Schäden durch Tornados in Deutschland gehen jährlich weit in die Millionen. Dabei sind die meisten Tornados hier – wie auch in den USA – nur schwach und richten kaum Schäden an. Nur wenige sind so stark, dass sie innerhalb einer Schneise nahezu alles zerstören. Diese Schneise kann etwa zwischen 20 und mehreren 100 Metern breit sein, in Extremfällen auch einen Kilometer und mehr. Die Lebensdauer eines Tornados beträgt zwischen einigen Sekunden und mehr als einer Stunde. Dabei legt er eine Strecke von wenigen Metern bis manchmal einigen Dutzend Kilometern zurück.

 

 

Abb.2: Tornadoschäden bei Frankfurt im Juli2005, Foto: Thomas Sävert

 

Die Fujita-Skala

Diese international gebräuchliche Skala wurde im Jahre 1971 durch den Meteorologen Tetsuya Theodore Fujita in den USA entwickelt. Sie schuf die Möglichkeit, Tornados nach den Schäden einzuordnen.

 

 

Stufe

Windgeschwindigkeiten

Schäden

F0

  63 bis 117 km/h

Äste brechen, Dachziegel werden abgedeckt

F1

118 bis 183 km/h

Bäume entwurzelt/gebrochen, Dächer z.T. abgedeckt

F2

184 bis 254 km/h

Fast alle Bäume stürzen um, erste Mauereinstürze

F3

255 bis 334 km/h

erste Häusereinstürze, PKW werden fortgetragen

F4

335 bis 420 km/h

Totalschäden an Gebäuden, Baumentrindung

F5

> 420 km/h

Völlige Zerstörung und Verfrachtung

 

 

Abb 3: Tornadoschäden der Stärke F3 am 18.07.2004 in NRW, Foto: Thomas Sävert

 

Direkte Messungen der Windgeschwindigkeiten innerhalb eines Tornados gibt es bisher nur sehr wenige. So konnten Sturmjäger in den USA erste Messwerte gewinnen. Mit speziell konstruierten, kegelförmigen Behältern, die dem Wind wenig Angriffsfläche boten, gelangen dem Tornadoforscher Tim Samarras im Jahre 2003 erste Messungen. In einem F4-Tornado fiel der Luftdruck um 100 Hektopascal ab. Direkte Windmessungen gibt es bisher kaum, mit einem mobilen Dopplerradar wurde aber im Mai 1999 in Oklahoma ein Windwert von rund 480 km/h festgestellt.

 

Wetterstationen werden sehr selten von Tornados direkt getroffen. Bei einem Volltreffer durch einen sehr starken Tornado dürfte von der Station auch nicht viel übrig bleiben. Das dichte Stationsnetz von MeteoGroup brachte bisher drei Treffer hervor: Am 19.08.2002 meldete die Station auf der Nordseeinsel Pellworm in einem Tornado einen Spitzenwert von 152 km/h, am 29.07.2005 wurden im sächsischen Erlabrunn 161 km/h gemessen und am 25.06.2008 waren es in Wertheim-Bestenheid 180 km/h. Über diesen Wertheimer Stadtteil war ein Tornado der Stärke F2 hinweg gezogen.

 

Entstehung von Tornados

Man unterscheidet zwischen Tornados, die im Bereich einer so genannten Superzelle entstehen, und solchen, die mit Schauern oder schwächeren Gewittern verbunden sind. Unter Superzellen versteht man langlebige Gewitter, die Rotation aufweisen. Es gibt derzeit unterschiedliche Theorien, wie aus dieser großräumigen Rotation der kleinräumige Tornadoaufwind hervorgeht. Man kennt aber die Zutaten, die nötig sind, damit Superzellen und Tornados entstehen können. Dazu gehört neben labiler Schichtung der Troposphäre und starkem Wind in der Höhe auch erhöhte Luftfeuchtigkeit am Boden. Die meisten Tornados der Stufen F3 bis F5 auf der Fujita-Skala gehen aus Superzellen hervor.

 

 Abb 4: Typische Wetterlage für Superzellen

 

Besonders häufig entstehen Superzellen und daraus hervorgehende Tornados, wenn sich im Sommerhalbjahr eine Südwestwetterlage mit hohem Luftdruck über Südost- und Osteuropa und tiefem Druck über dem Ostatlantik einstellt. Dann kann bodennah feuchtwarme Luft aus Südwesteuropa zu uns gelangen und zwischen Hoch und Tief weht in der Höhe ein starker Südwestwind. Sind die Temperaturgegensätze zwischen dem Boden und der Luft z.B. in 5 km Höhe ausreichend groß, entstehen Schauer und Gewitter. Der starke und idealerweise aus einer etwas anderen Richtung wehende Höhenwind versetzt die aufsteigende Luft in Rotation, es entsteht eine so genannte „Mesozyklone“, ein kleinräumiges Tief. Man spricht daher auch von „mesozyklonalen Tornados“. Bei solchen Wetterlagen kommt es häufiger vor, dass gleich mehrere Tornados in Deutschland entstehen. So gab es am 27. März 2006 in Norddeutschland mindestens 8 Tornados. Bei einem der Tornados kamen im Süden Hamburgs zwei Kranführer ums Leben und 300.000 Haushalte waren zum Teil stundenlang ohne Strom.

 

Tornados müssen aber nicht im Bereich von Superzellen entstehen, auch schwächere Gewitter oder sogar Schauer ohne Blitz und Donner können ausreichen. Diese Nicht-mesozyklonalen Tornados sind bei uns in Deutschland sogar recht häufig, möglicherweise sogar häufiger als die Superzellen-Tornados. Sie können entstehen, wenn ausreichend Labilität und am Boden eine Konvergenz vorhanden sind. Strömt die Luft bodennah zusammen, steigt sie lokal eng begrenzt rasch auf und es kann ein Tornado entstehen. Die meisten Wasserhosen bilden sich im Bereich solcher Konvergenzlinien, an denen manchmal gleich drei oder mehr Tornados in einer Reihe vorkommen können. Nichtsuperzellige Tornados erreichen selten die Stufe F3 auf der Fujita-Skala.

 

Ein bisher kaum bekanntes Phänomen sind Tornados, die im Bereich von Winterstürmen entstehen. Mit oft extrem starkem Höhenwind und feuchtmilder Luft können sie optimale Bedingungen für die Tornadoentstehung liefern. So traten mit dem Durchzug des Orkans „Kyrill“ am 18. Januar 2007 mindestens vier Tornados auf, von denen drei in Sachsen-Anhalt und Brandenburg die Stärke F3 mit Windgeschwindigkeiten von 255 km/h und mehr erreichten. Die Schäden allein durch diese drei Tornados lagen in zweistelliger Millionenhöhe. Auch während der Orkane „Emma“ am 01. März 2008 und „Jeanett“ am 27. Oktober 2002 wurden in Deutschland Tornados registriert.

 

Hauptgefahren / Sicherheitshinweise

Gefährlich sind Tornados vor allem durch ihr plötzliches Auftreten. Neben den hohen Windgeschwindigkeiten und den daraus resultierenden Schäden besteht erhöhte Gefahr durch umher fliegende Trümmer. Daher sollte man beim Aufzug eines Tornados einen fensterlosen Raum (Keller, Flur oder Bad) in einem stabil gebauten Haus aufsuchen. Ist man in der freien Natur unterwegs, bringt man sich am besten in einem Graben oder einer Mulde in Sicherheit. Auch in einem PKW ist man nicht sicher, durch einen stärkeren Tornado können auch diese durch die Luft gewirbelt werden.

 

Vorhersagbarkeit von Tornados

In begrenztem Maße sind Warnungen auch vor Tornados möglich. Sie erfolgen wie in den USA in einem dreistufigen System: Steht eine tornadoträchtige Wetterlage an, weisen die Meteorologen der MeteoGroup-Unwetterzentrale im Lagebericht zeitig auf die Gefahr hin. Werden die Hinweise auf mögliche Tornados konkreter und lassen sich die möglicherweise betroffenen Regionen näher eingrenzen, dann sind regional Vorwarnungen für einzelne Gebiete möglich. Die einzelnen Gewitterzellen werden von den Meteorologen per Radar verfolgt und Dopplerradardaten können Hinweise auf vorhandene Rotation und das Auftreten einer Superzelle geben. Sind diese konkret genug oder werden sogar durch Augenzeugenbeobachtungen gestützt, erfolgt eine Tornadowarnung für den unmittelbaren Gefahrenbereich. Dabei arbeitet die Unwetterzentrale eng mit dem Verein Skywarn e.V. zusammen, in dem sich Wetterbeobachter und Sturmjäger aus Deutschland organisiert haben.

 

Abb. 5: Tornado in Augustusburg im Mai 2008, Foto: Familie Zimmermann

 

Die Vorwarnzeiten liegen meist im Bereich von wenigen Minuten, in seltenen Fällen wie dem Tornado von Augustusburg am 31. Mai 2008 auch bei etwa 20 Minuten. Mehr zu diesem Tornado lesen Sie in einer gesonderten Verifikation.

 

Tornados und Klimawandel

Seit den späten 1990er Jahren ist die Zahl der registrierten Tornados in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, deutlich angestiegen. Die genaue Zahl ist dabei nicht bekannt, für eine aussagekräftige Statistik reichen die vorliegenden Zahlen derzeit noch nicht aus. Der Hauptgrund für den markanten Anstieg dürfte in der wieder auflebenden Tornadoforschung in Deutschland zu suchen sein. Das steigende Interesse der Medien und der Bevölkerung, die Verbreitung von Handys und Digitalkameras sowie des Internets sind weitere Gründe. Ob sich Zahl und Stärke von Tornados durch den Klimawandel verändern, ist nicht bekannt.


Diese Zusammenstellung wurde von Thomas Sävert, Meteorologe der Unwetterzentrale Deutschland, erstellt.

 

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