Orkantief CHRISTIAN – Der schwerste Sturm für den äußersten Nordwesten und Norden Deutschlands seit mindestens 1999.

Am Montag, den 28. Oktober 2013 überquerte ein sogenannter Schnellläufer Südostengland, die Nordsee, Norddänemark und Südschweden. Auf seinem Weg hinterließ er in einem vergleichsweise schmalen Streifen am Südwestrand des Tiefzentrums eine regelrechte Schneise der Verwüstung durch Orkanböen bisher kaum gekannten Ausmaßes jenseits von 150 km/h bis ins Binnenland. Mancherorts wurden bis zu dem Tag noch nie so hohe Windgeschwindigkeiten gemessen, geschweige denn solche Sturmausmaße beobachtet.

Wir betrachten dieses Tief nachfolgend genauer und erklären, wie es sich derart entwickeln konnte, warum es vergleichsweise lokal eng begrenzt diese enormen Windgeschwindigkeiten gab, warum dieser Orkan so gefährlich war sowie ob und wie wir ihn vorhersagen konnten.


Wetterlage

In der nachfolgenden Animation ist die Entwicklung der Wetterlage an Hand einer Abfolge von 6stündigen Bodendruck-Analysekarten nachzuvollziehen. Wir haben die Namen der beiden am Sonntag, den 27. und Montag, den 28. Oktober 2013 in Deutschland wetterbestimmenden Tiefdruckgebiete BURKHARD und CHRISTIAN eingezeichnet. Die Namen wurden im Rahmen der Wetterpatenschaft der Freien Universität zu Berlin vergeben.

Bodendruck-Analysekarten
Abb. 1: Animation der Bodendruck-Analysekarten des UK MetOffice von Samstag, 26.10.2013, 2 Uhr MESZ bis Montag, 29.10.2013, 7 Uhr MEZ

Am Samstag, den 26. Oktober entstand das Tief CHRISTIAN im Seegebiet südwestlich von Neufundland im Eingangsbereich des sogenannten Jetstreams (zu deutsch: Strahlstrom). Der Jetstream ist ein ausgeprägtes Starkwindband in der hohen Troposphäre, das in der Regel die weitere Zugbahn von Tiefdruckgebieten vorbestimmt. Hervorgerufen wurde dieser Strahlstrom zwischen dem umfangreichen Sturmtief BURKHARD südlich von Grönland und einem kräftigen Hochdruckgebiet über dem mittleren Nordatlanik. Im 300 hPa-Niveau (d.h. in ca. 9000 m Höhe) lagen die Windgeschwindigkeiten im Bereich dieses Starkwindbandes zwischen 200 und maximal 350 km/h.

Durch den starken Jetstream verlagerte sich das Tief CHRISTIAN dementsprechend rasch; ein sogenannter Schnellläufer war geboren. Einfach gesagt bezog das mächtige Sturmtief BURKHARD den Nachkömmling CHRISTIAN im Laufe des Sonntags mehr und mehr in sein kräftiges Strömungsfeld mit ein. CHRISTIAN wurde nunmehr zum Randtief, das die Hauptzyklone BURKHARD nachfolgend südlich unterwanderte. Bis zum Sonntagmittag verstärkte sich CHRISTIAN nördlich der Azoren und der Luftdruck sank auf 993 hPa ab. Diese Entwicklung ist neben dem kräftigen Höhenwind einem weiteren Umstand geschuldet, den die nachfolgende Grafik mit der Luftmassenverteilung veranschaulicht:

Luftmassenverteilung
Abb. 2: Luftmassenverteilung am Sonntag, 27.10.2013 um 13 Uhr MEZ. Bedeutung der Farbgebung: lila = frostig-kalt, blau = kalt, gelb = mild, orange/rot = warm, dunkelrot = sehr warm

Warme bis sehr warme und feuchte Subtropikluft wurde in breitem Strom auf CHRISTIANs Vorderseite transportiert, während rückseitig kalte Polarluft aus dem Raum Grönland ebenfalls in weiter Flur an seine Rückseite geführt wurde. Große Temperaturgegensätze strömten hierbei aufeinander zu, so dass eine Verstärkung des Tiefs die unvermeidliche Folge war. Am Sonntagabend erreichte CHRISTIAN das Seegebiet südlich Irlands und der Kerndruck lag bei 988 hPa.

In der Nacht zum Montag, den 28. Oktober erreichte das Sturmfeld von CHRISTIAN den Süden Englands und der Luftdruck sank im Zentrum des Tiefs auf inzwischen unter 981 hPa. Orkanböen erfassten Südengland und sorgten hier für große Schäden. Auch im Nordwesten Frankreichs spitzte sich die Lage rasch zu, als schwere Sturmböen und Orkanböen die französische Kanalküste heimsuchten.

Am Montagmorgen lag der Kern des inzwischen zum Orkanwirbel entwickelten Tiefs bereits über dem Südosten Englands und sorgte von London bis in die Niederlande für Orkanböen. Mit einem Kerndruck von unter 967 hPa erreichte Orkantief CHRISTIAN bis zum Montagmittag über der Nordsee seinen Entwicklungshöhepunkt und hielt diesen niedrigen Kerndruck für ein paar Stunden. Bis zum Montagabend verlagerte sich der Orkanwirbel rasch weiter über den Norden Dänemarks hinweg nach Südschweden und schwächte sich auf seinem weiteren Weg über den Bottnischen Meerbusen (Nacht zum Dienstag, den 29. Oktober) und Finnland (Dienstag tagsüber) nach Nordwestrussland langsam ab.


Bedingungen für einen außerordentlich heftigen Orkan

Windgeschwindigkeit 925 hPa
Abb. 3: Animation der mittleren Windgeschwindigkeit im 925 hPa-Niveau (hier bei rund 700 m Höhe) im hochaufgelösten UKMO NX-Modell (4x4 km) von Montag, 28.10.2013, 12 Uhr MEZ bis 17 Uhr MEZ (1stündige Schritte) in kn (Knoten)

Zum Entwicklungshöhepunkt konnte CHRISTIAN seine Kraft voll entfalten. An der Südwestseite des Tiefkerns wirkte sich dabei der stärkste Höhenwind mit bis zu 103 kn (umgerechnet 191 km/h) über der Nordseeküste bis in den Norden Schleswig-Holsteins aus. Im 850 hPa-Niveau (diesmal bei rund 1150 Metern Höhe) wurden vom Modell rund 105 kn analysiert. Das ist gewaltig.

Derartige Windgeschwindigkeiten hat es zuletzt nur bei Orkantief KYRILL über der Mitte und dem Osten Deutschlands gegeben. Damals waren es sogar 110 kn in rund 1200 Metern Höhe. Bei Orkantief EMMA waren es im Westen und in der Mitte rund 80, im Süden etwas über 90 kn in rund 1300 Metern Höhe.

Auf Grund verschiedener Vorgänge, die wir im Folgenden noch erklären, wurde der Höhenwind von bis zu 103 kn tatsächlich bis ins Flachland mit einbezogen oder komplett heruntergemischt. Dies führte beispielsweise auf den Nordseeinseln Borkum und Helgoland zu rekordverdächtigen Orkanböen von bis zu 191 km/h. An der Station Kegnæs in Dänemark wurden sogar noch nie erreichte 193 km/h als Spitzenwindgeschwindigkeit gemessen.

Bodenluftdruck
Abb. 4: Animation des Bodenluftdrucks (1-zu-1 hPa-Abstand der Isobaren (weiße Linien)) mit der dreistündigen Luftdruckveränderung (Isallobaren, Farbflächen) in Zehntel hPa von Montag, 28.10.2013, 1 Uhr MEZ bis 22 Uhr MEZ (1stündige Schritte)

Eine weitere Zutat, die diesen Sturm so gefährlich machte, war nicht nur der extrem starke Höhenwind, hervorgerufen durch einen starken räumlichen Luftdruckgradienten, sondern auch die schnelle Verlagerung des Tiefs und die damit verbundene starke zeitliche Luftdruckänderung über einem Ort. Man beachte, dass der Abstand von Bild zu Bild in den Abbildungen 3 und 4 jeweils nur 1 Stunde beträgt.

Mit Durchgang des Tiefs wurden starke Luftdruckanstiege von bis zu 16,7 hPa in nur 3 Stunden gemessen. Bei Helgoland fand ein Druckanstieg von 5 hPa in nur 30 Minuten statt. Dies sind beachtliche und selten erreichte Werte.

Zum Vergleich: Bei Orkantief KYRILL wurden Druckanstiege von bis zu 18,6 hPa in 3 Stunden gemessen. Bei Orkantief EMMA Anfang März 2008 waren es lediglich bis zu 9 hPa in 3 Stunden. Orkantief XYNTHIA schaffte es Ende Februar 2010 auf bis zu 18,9 hPa in 3 Stunden. Bei Orkantief LOTHAR am 26. Dezember 1999 standen sich in Westeuropa Druckfalltendenzen von 27,7 hPa in 3 Stunden an der Vorderseite des Orkans und Steigetendenzen von 29,0 hPa in 3 Stunden auf der Rückseite gegenüber.

Die Kombination aus niedrigem Kerndruck und rascher Verlagerung hat in der Regel fatale Folgen, wie die Auswirkungen des Orkans LOTHAR damals zeigten. Aber auch im Fall CHRISTIAN waren eine rasche Verlagerung sowie die Kerndruckvertiefung wichtige Zutaten für einen verheerenden Sturm.

Nun gilt es noch zwei kompliziertere Vorgänge möglichst kurz und leicht verständlich zu erklären, die aus wissenschaftlicher Sicht im Zusammenhang mit diesem Orkantief einfach genannt werden müssen: „Dry-Intrusion“ und „Sting-Jet“.

Rel. Luftfeuchtigkeit
Abb. 5: Relative Luftfeuchtigkeit im 700 hPa-Niveau (hier rund 2900 m) von Montag, 28.10.2013, 10 Uhr MEZ. Grün = feuchte Luft, gelb und orange = trockene Luft

Wir sehen hier die Verteilung der relativen Luftfeuchtigkeit rund um das Tief CHRISTIAN. Wir haben zudem einmal das Frontensystem und die Position des Tiefkerns schematisch eingezeichnet. Aus dieser Darstellung lässt sich bereits der Zyklonentyp ableiten, der vom klassischen Tiefdruckgebiet abweicht. CHRISTIAN war eine „Shapiro-Keyser-Zyklone“, benannt nach dem 1990 entwickelten alternativen Zyklonenmodell von M. A. Shapiro und Daniel Keyser.

Ein kleiner Exkurs in die Frontenlehre: Die typische „Polarfrontzyklone“ - das klassische Tiefdruckgebiet bei uns - geht nach dem sogenannten „Norwegischen Modell nach Bjerknes (norwegischer Physiker und Meteorologe, 1862-1951)“ von einem zusammenhängenden Frontensystem aus. Es besteht aus einer Warmfront, einer Kaltfront und einer Okklusion, bei der die Kaltfront die Warmfront eingeholt hat.

Bei der „Shapiro-Keyser-Zyklone“ ist die Frontalzone anders gelagert. Sie bildet erst gar keine Okklusion aus, da die Kaltfront in der Regel sehr schwach ausgeprägt ist und erst gar keine Verbindung zum Zentrum des Tiefs eingeht. Dies wird auch in Abb. 5 oben deutlich. Stattdessen hat dieser Tiefdrucktyp eine ziemlich massiv ausgeprägte Warmfront. Wie wir in Abb. 2 gesehen haben, wurde in breitem Strom subtropische Warmluft in das Strömungssystem von Orkantief CHRISTIAN einbezogen. Das Aufgleiten der Warmluft wird in Abb. 5 durch das großräumige Feuchtefeld sichtbar, das sich in der Realität (s. Abb. 6 unten) wiederum durch kompakte Wolken im Satellitenfilm widerspiegelt.

Auffällig ist, dass am Südrand des Tiefkerns von CHRISTIAN ein Einschub trockener Luft dominierte, den wir in Abb. 5 zusätzlich zur Gelb-Orange-Färbung durch die braunen Pfeile gekennzeichnet haben. Es handelt sich dabei um die sogenannte „dry intrusion“. Sie ist bei vielen sich rasant entwickelnden Tiefdruckgebieten zu finden. Bei diesem (1:1 zu deutsch übersetzt) „trockenen Einsaugen“ wird extrem trockene Luft z.B. aus der Stratosphäre oder der hohen Troposphäre bis in die mittlere, im Extremfall (wie bei CHRISTIAN geschehen) auch in die untere Troposphäre transportiert. Dieser Bereich sorgte zunächst für Wolkenauflösung bzw. -auflockerungen.

Ein typisches Merkmal der „Shapiro-Keyser-Zyklone“ ist, dass sich die Warmfront um den Tiefkern herumwickelt, wie auch bei CHRISTIAN geschehen. Die Warmfrontniederschläge drangen dabei teilweise in die Gebiete der trockenen Luft vor und verdunsteten darin. Die Luft kühlte sich dabei ab, wurde schwerer und stürzte nach unten. Durch diesen sehr vereinfacht dargestellten Vorgang wurde der Höhenwind (vgl. Abb. 3) herabgemischt (vertikaler Impulstransport durch Verdunstungsabkühlung = sogenannter „Sting Jet“) und führte in Kombination mit dem extrem starken Höhenwind zu verheerenden Orkanböen jenseits von 150 km/h.

Die Kaltfront von CHRISTIAN war erwartungsgemäß und für diese Zyklonenart typisch nur wenig wetteraktiv, weil sich die Luftmasse hinter ihr nur unbedeutend veränderte. Nichtsdestotrotz führte auch sie ein wenig vertikale Durchmischung herbei, möglicherweise auch durch die Tageszeit der Sonneneinstrahlung begünstigt, und sorgte zumindest stellenweise für das Herabmischen des vergleichsweise schwachen Höhenwindes in den westlichen und mittleren Teilen Deutschlands. Hier spielten auch topografische Effekte mit rein.

Orkantief CHRISTIAN war keine „Kaltluftzyklone“ nach dem „Norwegischen Modell“: Üblicherweise sorgt dabei der Einbezug von Höhenkaltluft rückseitig des Tiefkerns zur Labilisierung der Luftschichtung, wodurch der Höhenwind innerhalb von Schauern oder Gewittern (Feuchtkonvektion) herab transportiert werden kann. Labile Höhenkälte breitete sich bei CHRISTIAN erst sehr weit hinter dem stärksten Sturmfeld des Tiefs aus und wurde so gut wie nicht ins unmittelbare Strömungsfeld um den Tiefkern einbezogen.

Satellitenfilm
Abb. 6: Satellitenfilm: sichtbarer Kanal VIS (abk.: visible = sichtbar) von Montag, 28.10.2013, 8 Uhr bis 16:30 Uhr MEZ in 5minütigen Zeitschritten pro Bild (Geschwindigkeit 10 Bilder pro Sekunde).

Die Wolkenspirale um Tief CHRISTIAN ist eindrucksvoll zu erkennen, die rasch über die Nordsee hinweg zieht. Auffällig ist die ausgefranste Wolkenformation an der Spitze des Warmfrontbogens, sprich am Südwestrand des Tiefkerns in Richtung Nordseeküste gerichtet: Hier vollzog sich der Sting Jet.


Zusammengefasst lassen sich folgende Punkte festhalten:

Das Zusammenspiel der verschiedenen Parameter war ideal, um extreme Windgeschwindigkeiten von 150 km/h und mehr hervorzurufen: Niedriger Luftdruck im Zentrum von Orkantief CHRISTIAN in Kombination mit großen Luftdruckunterschieden auf kleinem Raum (großer räumlicher Druckunterschied und schneller Tiefverlagerung (starke zeitliche Druckveränderung; s. Abb. 4). Darüber hinaus war die Position des Tiefs ein wichtiger Faktor: Wäre CHRISTIAN nur 50 Kilometer nördlicher gezogen, wäre die deutsche Nordseeküste von dem Schlimmsten verschont geblieben. Wäre das Tief 50 Kilometer südlicher gezogen, hätten der Norden und die Mitte Niedersachsens, der Süden Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommern den vermutlich schwersten Orkan seit Beginn der Aufzeichnungen erlebt und die deutsche Nordseeküste wäre ebenfalls vom Schlimmsten verschont geblieben. Zu guter Letzt sorgte der Tiefdrucktypus „Shapiro-Keyser-Zyklone“ mit seinen geschilderten Eigenschaften (Warmfront im Tiefkern, dry intrusion mit Sting Jet) zum Herabmischen des sehr starken Höhenwindes.

Das extreme Sturmfeld mit Orkanböen von 130 bis 193 km/h wirkte auf vergleichsweise eng begrenztem Raum an der Südwestflanke des Tiefkerns und erstreckte sich auf 100 bis etwa 150 Kilometern Breite von der Nordseeküste über den Norden Schleswig-Holsteins bis in den Süden Dänemarks. Südlich davon gab es in einem weiteren Streifen von 50 bis circa 100 Kilometern Breite, etwa von Ostfriesland und dem nördlichen Emsland über die Lüneburger Heide und Hamburg bis zur Mecklenburger Bucht, in dem orkanartige Böen und Orkanböen von 105 bis 120 km/h gemessen wurden. In den übrigen Landesteilen, sprich im Westen, in der Mitte und im Südwesten Deutschlands, kam es zu Sturmböen und schweren Sturmböen zwischen 75 und 100 km/h bis ins Flachland.

Zugbahn
Abb. 7: Zugbahn Orkantief CHRISTIAN mit den Positionen des Tiefkerns und den analysierten Kernluftdruckwerten zu den angegebenen Terminen

Innerhalb von 114 Stunden im Zeitraum von Samstag, 26. Oktober, 7 Uhr bis Donnerstag, 31. Oktober, 1 Uhr legte CHRISTIAN eine Strecke von rund 8.500 km zurück. Das entspricht einer durchschnittlichen Zuggeschwindigkeit von rund 74 km/h. Im 24stündigen Zeitraum von Montag, 28. Oktober, 1 Uhr bis Dienstag, 29. Oktober, 1 Uhr zog CHRISTIAN circa 2.037 km, was einer mittleren Verlagerungsgeschwindigkeit von etwa 85 km/h entspricht. Die Strecke von der Nordsee bis nach Südschweden legte der Orkan mit rund 90 km/h zurück. Nicht umsonst nennt man solche schnell ziehenden Tiefs in der Meteorologie auch „Schnellläufer“.


Spitzenwindgeschwindigkeiten

Spitzenböen
Abb. 8: 24stündige Spitzenböen bis Dienstag, 29.10.2013

Nachfolgend eine Übersicht über Stationen mit Orkanböen (ab 118 km/h)

191 km/h - Borkum (Niedersachsen), Helgoland-Oberland (Schleswig-Holstein)
183 km/h - Hörnum/Sylt (Schleswig-Holstein)
181 km/h - List/Sylt-Ellenbogen (Schleswig-Holstein)
180 km/h - Hallig Gröde (Schleswig-Holstein)
172 km/h - St. Peter-Ording (Schleswig-Holstein)
170 km/h - Juist/Flugplatz (Niedersachsen)
168 km/h - Glücksburg-Meierwik (Schleswig-Holstein)
165 km/h - Strucklahnungshörn (Schleswig-Holstein)
163 km/h - Amrum und Hallig Hooge (je Schleswig-Holstein), Brocken (Sachsen-Anhalt)
161 km/h - Westerhever (Schleswig-Holstein)
159 km/h - Spiekeroog (Niedersachsen), Büsum und List/Sylt (je Schleswig-Holstein)
157 km/h - Pellworm (Schleswig-Holstein )
155 km/h - Schleswig/Jagel (Schleswig-Holstein)
150 km/h - Norden-Norddeich und Wilhelmshaven (je Niedersachsen)
148 km/h - Esens-Bensersiel (Niedersachsen), Helgoland-Südhafen (Schleswig-Holstein)
144 km/h - Baltrum (Niedersachsen), Brodersby-Schönhagen (Schleswig-Holstein)
140 km/h - Wangerooge (Niedersachsen)
139 km/h - Hiddensee-Dornbusch (Mecklenburg-Vorpommern)
137 km/h - Hohn (Schleswig-Holstein); Norderney, Langeoog und Spiekeroog (je Niedersachsen)
135 km/h - Neuharlingersiel (Niedersachsen)
133 km/h - Flensburg (Schäferhaus), Leck und Fehmarn-Westermarkelsdorf (je Schleswig-Holstein)
133 km/h - Fehmarn-Westermarkelsdorf (Schleswig-Holstein)
130 km/h - Bad Harzburg-Burgberg (Niedersachsen), Elpersbüttel und Schleswig (je Schleswig-H.)
130 km/h - Boltenhagen (Mecklenburg-Vorpommern), Bremerhaven (Hansestadt Bremen)
128 km/h - Emden (MM) (Niedersachsen), Weinbiet (Rheinland-Pfalz), Dahme/Ostsee (Schleswig-H.)
128 km/h - Harlesiel-Flugplatz (Niedersachsen)
126 km/h - Feldberg/Schwarzwald (Baden-Württemberg)
124 km/h - Krummhörn-Greetsiel (Niedersachsen)
122 km/h - Zugspitze (Bayern), Butjadingen (Niedersachsen), Itzehoe (Schleswig-Holstein)
122 km/h - Darßer Ort (Mecklenburg-Vorpommern), Travemünde (Schleswig-Holstein)
120 km/h - Hooksiel (Niedersachsen), Hamburg-Flughafen
118 km/h - Cuxhaven (Niedersachsen), Wasserkuppe (Hessen)

Ab Windstärke 12 (12 Beaufort) sprechen wir von „Orkan“ und meinen damit Windgeschwindigkeiten von mehr als 117 km/h. Etwas Höheres als Windstärke 12 gibt es nach der sogenannten Beaufort-Skala bei außertropischen Tiefdruckgebieten nicht. Wie könnte man Windspitzen von 150, 170 oder gar 190 km/h einordnen?

Die nächst vergleichbare Windskala ist die Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala, die sich in 5 Kategorien unterteilt. Zu beachten ist hier jedoch, dass sich diese Skala an den höchsten einminütigen Mittelwind am Boden innerhalb eines Hurrikans orientiert und nicht die Böen betrachtet, die rund ein Drittel höher als das einminütige Bodenmittel sein können.

Wagen wir dennoch einen Versuch: Unsere Wetterstationen messen den 10minütigen Mittelwind. Dieser wehte auf Borkum beispielsweise mit bis zu 146 km/h, das bedeutet volle Orkanstärke im Mittel. Würden wir diesen Wert – wissenschaftlich inkorrekt – mit der Hurrikan-Skala vergleichen, ergäbe sich daraus die Hurrikan-Kategorie 1 (schwacher Hurrikan), wonach der maximale 1minütige Mittelwind zwischen 118 und 153 km/h betragen müsste.

Weitere Informationen zu den verschiedenen Windskalen finden Sie hier.

Eine andere Möglichkeit, die enormen Kräfte solcher Windgeschwindigkeiten auszudrücken, ist in Form des sogenannten „Staudrucks“. Der Staudruck ist die Kraft, die der Wind auf Gegenstände und Hindernisse (wie Bäume, Gebäude, Mensch und Tier etc.) ausübt. Angegeben wird der Staudruck in „Kilogramm pro Quadratmeter (kg/m²)“. Bei Orkanböen von 150 km/h herrscht ein Staudruck von rund 113 kg/m². Bei solchen Werten ist es sehr schwer, sich auf den Beinen zu halten, wie beispielsweise auf Sylt beobachtet wurde. In den Spitzenböen von über 180 km/h herrscht sogar ein Staudruck von über 155 kg/m².

Unterm Strich bleibt übrig, dass durch solch enorme Kräfte verheerende Auswirkungen an der Nordsee, im Norden Schleswig-Holsteins und in der Südhälfte Dänemarks unweigerlich die Folge waren.


Schadenausmaß

Orkanböen bisher kaum bekannten Ausmaßes sorgten flächendeckend für Sachschäden und Probleme im Transport- und Verkehrswesen. Allein im Süden Großbritanniens waren zeitweise mehr als 660.000 Haushalte ohne Strom, in Nordfrankreich rund 75.000, in den baltischen Staaten um 160.000. Laut SHZ (Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag) waren allein in Schleswig-Holstein zeitweise 50.000 Haushalte von der Stromversorgung abgeschnitten. Zahlreiche Bäume wurden entwurzelt und stürzten auf Überlandleitungen, Oberleitungen von Bahntrassen, PKW und Häuser. Dächer wurden teilweise oder komplett abgedeckt, Baugerüste und Fassaden von Häusern abgerissen. Durch enormen Winddruck kam es vor, dass mancherorts Fensterscheiben eingedrückt wurden. Der öffentliche Nahverkehr kam teilweise völlig zum Erliegen, Flughäfen wurden gesperrt. Am Flughafen London-Heathrow wurden alleine rund 130 Flüge gestrichen. Schiffe gerieten in Seenot. In England und Wales kam es durch starke und länger andauernde Regenfälle zu 152 Einsätzen wegen überfluteter Keller. Den Einsatzkräften von Feuerwehr, freiwilliger Feuerwehr und Rettungsleitstellen forderte der Orkan alles ab. In Teilen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins fiel die Schule aus.

Die Nordseeinseln und deutsche Nordseeküste sind ja eigentlich Orkan gewöhnt, aber zum Beispiel auch auf Norderney herrschte Ausnahmezustand. An der schleswig-holsteinischen Nordseeküste wurden teilweise Dächer von Häusern abgedeckt, welche die letzten 50 Jahre problemlos jeden Sturm überstanden. Es stellten sich Szenarien ein, die wir hierzulande eher aus dem Fernsehen bei Berichterstattungen über tropische Wirbelstürme kennen.

Die Schadensumme beläuft sich europaweit auf mehrere hundert Millionen Euro; alleine in den Niederlanden gehen mindestens 95 Millionen Euro auf das Konto von Gebäudeschäden.

Kurzum: Orkan CHRISTIAN zog eine Schneise der Verwüstung vom Süden Englands über den Nordwesten Frankreichs, die Niederlande, Norddeutschland, Dänemark und Südschweden bis zum Balitikum. Europaweit forderte der Orkan sogar insgesamt 14 Menschenleben und zahlreiche Verletzte. Allein in Deutschland starben 7 Menschen. Häufig wurden Menschen von umstürzenden Bäumen erschlagen.


Schwere Sturmböen / Orkanböen und belaubte Bäume

Schadenfoto
Abb. 9: Schadenfoto aus Flensburg mit freundlicher Genehmigung von Karsten Sörensen

Da Tief CHRISTIAN Ende Oktober durchzog, trugen viele Bäume noch sehr viel Laub. Folglich boten sie dem Orkan volle Angriffsfläche. Dabei knicken Bäume aber nicht etwa so um, wie man es sich vielleicht vorstellen mag, als wenn ein Holzfäller ihn absägt und er sich gemächlich der Horizontalen nähert. Neben dem tonnenschweren Eigengewicht des Baumes kommt natürlich der enorme Staudruck von 60 bis 90, im Extremfall, wie weiter oben erklärt, von 100 bis 150 kg/m² bei schweren Sturmböen und Orkanböen hinzu. Insofern prallt eine ungeheure Masse relativ schnell zu Boden. So erklären sich auch viele Todesfälle, die sich ereigneten, wenn Bäume mit voller Wucht zum Beispiel auf PKW oder völlig ungeschützt auf Radfahrer oder Menschen fallen. Durch vorangehende Regentage waren die Böden zusätzlich aufgeweicht, so dass Orkanböen die tonnenschweren Bäume obendrein auch noch leichter entwurzeln konnten, als wenn die Böden trocken gewesen wären.


Einordnung

Laut unseren Aufzeichnungen gab es mancherorts noch nie solch hohe Windgeschwindigkeiten wie am 28. Oktober 2013. Zuletzt hatte Orkantief ANATOL am 3. Dezember 1999 die Nase vorn mit bis zu 183 km/h, die in List/Sylt gemessen wurden. Das war bisher die höchste Windgeschwindigkeit, die bisher an der Nordsee gemessen wurde. Mit 191 km/h wurden somit auf Borkum und Helgoland neue Nordseerekorde aufgestellt.

Auch mancherorts an der Küste wurde noch nie zuvor so viel Wind gemessen wie beispielsweise in St. Peter-Ording (172 km/h) oder am Flugplatz auf Juist (170 km/h). Auch im Binnenland stellen 168 km/h, die in Glückburg-Meierwik registriert wurden, einen neuen Allzeitrekord dar. Bei Orkan ANATOL wurden in Glücksburg 156 km/h gemessen, die bisher nicht annähernd mehr erreicht wurden.

Wir haben für Sie einmal die stärksten Küsten-Orkane der letzten 14 Jahre mit ihren Spitzenwindböen zusammengestellt. Alle Werte, die rot markiert sind, stellen das stärkste Ereignis an der Messstation dar.

Orkane
Tab. 1: Stärkste Orkane der letzten 14 Jahre mit den Spitzenwindgeschwindigkeiten für Messstationen an Nord- und Ostsee sowie für den Brocken. Legende: *) alter Nordseerekord, **) bestehender Ostseerekord, ***) neue Nordseerekorde

An Hand der Tabelle wird deutlich, dass Orkan CHRISTIAN für die Nordseeküste und den Nordwesten und Norden Schleswig-Holsteins das stärkste Ereignis seit mindestens 1999 war.

Vor 1999 gab es noch ein paar kräftige Orkane, die die Nordsee sowie den Nordwesten und Norden Deutschlands stark trafen: Am 13. Januar 1993 wütete Orkantief VERENA. Am Flugplatz Kiel-Holtenau sowie in Cuxhaven wurden damals 148 km/h gemessen. In List/Sylt waren es 139 km/h und auf Helgoland am Südhafen 141 km/h. Am 25. und 26. Januar 1990 führte Orkantief DARIA auf Norderney und in List auf Sylt zu Orkanböen von 150 km/h, in Cuxhaven wurden sogar 181 km/h erreicht, auf dem Brocken im Harz sage und schreibe 230 km/h. Bei dem namhaften Orkan VIVIAN am 26. Februar 1990 traten in List/Sylt und in Cuxhaven jeweils Spitzenwindgeschwindigkeiten von 150 km/h auf, auf dem Brockenplateau erneut 230 km/h.

Wir können an dieser Stelle festhalten, dass Orkantief CHRISTIAN zumindest für die Nordseeküste der schwerste Orkan seit etwa 1993, wenn nicht sogar seit 1990 (also seit 20 bis 23 Jahren) war.


Vorhersagbarkeit des Orkans

CHRISTIAN ist ein Beispiel für einen gut vorhersagbaren Orkan. Bereits drei, vier Tage vorher hatten die Modellberechnungen eine starke Entwicklung um den 27./28. Oktober im Programm. Zwei Tage vorher standen die Zeichen zwischen Texel, Helgoland und Sylt auf Orkanböen von über 140 km/h. Für den äußersten Nordwesten und Norden gaben die Modellparameter bereits Orkanböen von 120 bis 130 km/h her. Somit wurden bis zu 48 Stunden vor Ereignisbeginn entsprechend frühzeitig Vorwarnungen in den Warnstufen ROT und VIOLETT herausgegeben. Nachfolgend ein paar Beispiele:

Ausgabezeiten
Tab. 2: Ausgabezeiten von Vor- und Akutwarnungen an Hand von sechs beispielhaften Orten in Deutschland

*) Nachdem die Böe von 128 km/h gemessen wurde, fiel die Station vermutlich wegen noch stärkerer Böen aus.

Zwei Schwierigkeiten bereitete der Orkan den Warnmeteorologen. Zum einen wurde am Sonntagabend, den 27. Oktober die Entwicklung des Tiefs von einzelnen Modellen plötzlich schwächer gerechnet als zuvor. Zum anderen wurde erst am Montagmorgen und -vormittag, den 28. Oktober wirklich klar, dass sich nun doch ein heftiges Orkanfeld entwickeln würde. Nach den Modellberechnungen waren Spitzenwinde 140 bis 150 km/h oder darüber möglich, weswegen am Sonntagabend ausgegebene ROT-Warnungen auf VIOLETT und in Teilen Niedersachsens ORANGE-Warnungen auf ROT hochgestuft wurden.

Warnkarte
Abb. 10: Warnkarte mit allen am Montag, den 28.10.2013 gültigen Unwetterwarnungen

Summa summarum: Der Sturm war insgesamt sehr gut und sehr frühzeitig vorhersagbar. Was nicht vorhersagbar war, waren die extremen Windgeschwindigkeiten von 170 oder gar 190 km/h. Solche Werte waren schon überraschend hoch. Nichtsdestotrotz wurde mit den Warnstufen ROT (Böen bis 130 km/h) und VIOLETT (Böen über 130 km/h) dem Orkan die entsprechende Gefahr zugeordnet.


Diese Zusammenstellung wurde von Stefan Laps und Andreas Wagner, Meteorologen der Unwetterzentrale, im November 2013 erstellt.

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