Orkantief BRITTA - 30.10. bis 02.11.2006 (Tief Nr. 8)

Wetterlage
Bodendruckanalyse
Diese Karte des ECMWF-Modells zeigt Orkan BRITTA am 1.11. um 1 Uhr MEZ mit dem stärksten Druckgradienten über der Nordsee. Die zugehörige Kaltfront liegt über den Alpen, die Okklusion über der Mitte und dem Nordosten Deutschlands. Dahinter strömt ein erster Schwall labiler Höhenkaltluft direkt vom Nordmeer nach Mitteleuropa mit bis zu -28°C im 500 hPa-Niveau. Durch die markante Kaltluftadvektion bildeten sich über der noch 14/15°C milden Nordsee kräftige Schauer, die südostwärts ins Landesinnere zogen. In deren Bereich konnte sich der vertikale Impulstransport mit orkanartigen Böen auf den ost- und nordfriesischen Inseln bemerkbar machen. Mit Durchzug der Okklusion wurden auch in den Mittelgebirgen sowie in ungünstig gelegenen exponierten Lagen des Flachlandes erste Sturmböen gemessen.

Bodendruckanalyse
Die Darstellung des UKMO Finemesh für den 1.11. nachts um 4 Uhr MEZ veranschaulicht den Höhepunkt des Orkans an der Nordseeküste. Der Druckgradient darf schon als extrem bezeichnet werden und führte auf den ostfriesischen Inseln bis zu diesem Termin zu Orkanböen bis 131 km/h (Baltrum) aus Nordwest. Der Orkan führte durch auflandige Strömung im weiteren Verlauf zu einer schweren Sturmflut an der Nordseeküste sowie im Elbeinzugsgebiet.

Bodendruckanalyse
Am Morgen um 7 Uhr MEZ wurden in Norddeutschland verbreitet Sturmböen gemessen, teils orkanartige Böen an den Küsten. Die kräftigen Schauer bzw. die schauerartig verstärkten Niederschläge, die mit der rückgeführten Okklusion in Zusammenhang stehen, kamen weiter ins Landesinnere voran. An der Nordseeküste sowie an der Elbe hat sich eine schwere Sturmflut eingestellt, die im ostfriesischen Bereich als eine der höchsten Sturmfluten der vergangenen 100 Jahre in die Geschichte eingeht. Ausführlichere Informationen über die Sturmflut finden Sie im rechtsstehenden Text.

Bodendruckanalyse
Zum Mittag hin wurde der Sturmhöhepunkt dann auch an der Ostseeküste bzw. im Nordosten Deutschlands erreicht. Vor allem an der mecklenburgischen Ostseeküste wurde durch den auflandigen Wind es eine mittlere bis schwere Sturmflut mit größeren Schäden verursacht: Überschwemmungen gab es in zahlreichen Häfen von Flensburg bis nach Warnemünde. Im Zentrum des Tiefs wurde ein Luftdruck von 982 hPa gemessen. Auf der Rückseite des Wirbels gelange in strammer Nordströmung in Schüben ungehindert kalte Luft aus polaren Gefilden mit kräftigen Schauern nach Deutschland: Bis zum Mittag sank die Temperatur im 500 hPa-Niveau im Nordwesten auf -30 bis -33°C ab. Die Schauer führten vor allem im Westen, in der Mitte und im Süden im Bereich weiterhin markanter Luftdruckgegensätze zu einzelnen Sturmböen. In den Mittelgebirgen sorgte der Kaltlufteinbruch für ersten Schnee.

Ausführliche Analyse der Wetterlage
Etwa ab dem 28.10. steilte sich über dem Ostatlantik ein Hochkeil gen Norden auf und führte zunächst zu einer westnordwestlichen Höhenströmung in Mitteleuropa. Am 29.10. überquerte  Sturmtief ANKE (Tief #7) von der Nordsee kommend unter Verstärkung die dänischen Inseln südostwärts in Richtung Polen und Ukraine. Der Hochkeil steilte sich dabei weiter auf die Strömung drehte in Mitteleuropa zwischen hohem Geopotential über Westeuropa (WLA) und niedrigem Geopotential über Osteuropa (KLA) mehr auf Nordwest. Das Tief BRITTA lag am Mittag über dem nördlichen Atlantik und wanderte bis zum 30.10. strömungsparallel gen Nordosten in Richtung Hochachse. In der Nacht lag der Kerndruck noch bei knapp unter 1000 hPa. Im Tagesverlauf vertiefte sich der Kern jedoch massiv, da BRITTA auf ihrer Rückseite kalte Luft von Grönland anzapfen konnte und sich somit der Temperaturgradient zur vorderseitig befindlichen warmen Mittelmeerluft bzw. zur Hochachse vergrößerte. Um 13 Uhr MEZ konnte ein Kerndruck von 984 hPa registriert werden und der Druckgradient westlich des Kerns deutete bereits auf ein markantes Orkanfeld hin.

Norddeutschland wurde fortan von der Warmfront des zum Orkan herangewachsenen Tiefs und einer allmählichen Zunahme des Druckgradienten beeinflusst. Zwischen 14 und 15 Uhr MEZ wurde an der MeteoGroup-Wetterstation auf dem Oberland Helgolands bereits eine warnrelevante Bö von 76 km/h gemessen. Die mit der Warmfront korrespondierenden Aufgleitniederschläge waren schwach ausgeprägt. Am Abend überquerte die Kaltfront des Orkantiefs Irland und Schottland. Der Zentraldruck des Wirbels sank nicht weiter und verblieb auf einem Niveau von 985 hPa. In der Nacht zum 31.10. bildete sich ein zweiter Kern etwa am Okklusionspunkt der Frontalzone, der einen Kerndruck von 983 hPa vor der südnorwegischen Küste (BRITTA II) auswies. Das "erste" Zentrum (BRITTA I) lag knapp nordwestlich Schottlands mit 985 hPa. BRITTA I und II bildeten, verbunden durch eine Back-Bend-Okklusion somit ein umfangreiches Tiefdrucksystem. Die Achse des Höhenhochs kippte durch die kräftige, in allen Troposphärenschichten ausgeprägte Kaltluftadvektion nach Südosten und nahm einen Verlauf etwa von Frankreich über Ostdeutschland hinweg nach Polen an. Zum Vergleich: 12 Stunden zuvor konnte die Achse vom Mittelmeer über Frankreich, Großbritannien und Schottland bis fast nach Island analysiert werden.

Bis zum 31.10. morgens überquerte die Kaltfront Großbritannien südostwärts und die rückgeführte Okklusion erreichte mit dem zu der Zeit stärksten Windfeld Schottland und Irland. Auf North Rona wurde eine Spitzenorkanbö von 163 km/h gemessen, auf Sule Skerry eine Bö von 122 km/h. Mit Annäherung der Kaltfront Deutschlands nahm der Druckgradient am Morgen weiter zu und an den Küsten sowie auf einigen exponierten Gipfeln der Mittelgebirge sind gebietsweise warnrelevante Böen erreicht worden. Das Zentrum von BRITTA II vertiefte sich vor der südnorwegischen Küste auf 978 hPa. BRITTA I schwächte sich dagegen auf knapp unter 990 hPa ab. Der Okklusionspunkt wanderte weiter in Richtung Südschweden und bildete einen dritten Tiefkern mit 984 hPa. Auf der Rückseite des Systems gelangte kalte Luft vom Polarmeer auf direktem Wege nach Süden. BRITTA II vertiefte sich dabei auf 977 hPa. Die Kaltfront zog mit einem schmalen Band schauerartig verstärkten Regens über Norddeutschland hinweg. Durch die dahinter einsickernde kühlere und labile Meeresluft (-20 bis -24°C in 500 hPa) und den zunehmenden Luftdruckgegensätzen wurden an der Nordseeküste sowie in einigen Mittelgebirgen die warnrelevanten Windböen bis zum Abend häufiger. Die Okklusion des Tiefdruckkomplexes befand sich um 19 Uhr quer über dem Nordwesten Deutschlands und führte ebenfalls zu schauerartig verstärktem Regen. Im Durchschnitt lagen die stündlichen Niederschlagssummen zwischen 3 und 7 l/m², punktuell kann es auf Grund der beobachtbaren Radarreflektivität von mehr als 46 dBZ (sehr starker Regen) auch mehr geregnet haben. Bis zu diesem Termin hatte sich Der Kern von BRITTA I aufgelöst und BRITTA II (wird im Folgenden "I" genannt) verlagerte sich unter Abschwächung mit 982 hPa nördlich an Dänemark vorbei. Das dritte Tiefzentrum (im Folgenden "II" genannt) erreichte dagegen über der Ostsee ein neues Minimum von 978 hPa. Das Orkanfeld wirkte sich vor allem über der nördlichen Nordsee aus.

Bis zur Nacht auf den 1.11. überquerte die Okklusion die Mitte Deutschlands. Dahinter drehte der Wind fortwährend auf Nordwest, die Luft kühlte sich weiter ab und erreichte in der 500 hPa-Druckfläche Werte bis -28°C. Der Druckgradient nahm kontinuierlich zu. Frontal sowie postfrontal registrierten die Stationen des nationalen Messnetzes verbreitet Spitzenböen von 60 bis 70 km/h, an der Nordseeküste wurden erste Orkanböen bis 120 km/h erreicht. Doch der Höhepunkt des Sturms war damit noch nicht erreicht, denn das Hauptwindfeld befand sich um 1 Uhr MEZ noch immer über der Nordsee am Rande des Kerns von Tief I, das zu dem Termin seinen Kern auf einen Luftdruck von 985 hPa abschwächte. In der zweiten Nachthälfte und am Morgen erreichten die Böen in Mitteleuropa ihr Maximum: Im norddeutschen Tiefland wurden verbreitet Sturmböen von über 76 km/h gemessen, in Richtung Nord- und Ostfriesland im Binnenland auch schwere Sturmböen über 90 km/h. Auf den Nordseeinseln sowie auf dem Brocken im Harz sind Orkanböen von bis zu 144 km/h registriert worden. Auch im übrigen Land wurden durch Schauer, die mit der Okklusion einhergingen, einzelne Sturmböen erreicht. BRITTA I lag am Morgen mit ihrem Kern über Südschweden mit 986 hPa, BRITTA II mit 980 hPa an der estländischen Nordküste.

Das Problem waren jedoch nicht allein die Orkanböen. Durch die auflandige Strömung einerseits und den Zeitpunkt des Tidenstroms andererseits kam es an der Nordseeküste sowie im Elbeinzugsgebiet zu einer schweren Sturmflut. Von einer Sturmflut wird gesprochen, wenn der Tidenhöchststand das mittlere Tidenhochwasser um 1,5 m oder mehr übersteigt, von einer schweren Sturmflut bei 2,5 m und mehr. Die vorhergesagten astronomischen Hochwasserzeiten lagen in Emden bei 07:33 Uhr MEZ und in Cuxhaven bei 08:15 Uhr MEZ. Tatsächlich war z.B. in Cuxhaven der höchste Stand schon gegen 06:30 Uhr MEZ erreicht. Danach ließ der Wind deutlich nach und drehte weiter auf Nordnordwest. An der Elbe bis Cuxhaven wurden Höchstwasserstände von ca. 2,50 bis 2,70 m über mittlerem Hochwasser gemessen, in Ostfriesland ca. 2,80 bis 3,50 m und an der Emsmündung selbst bis zu 3,90 m über mittlerem Hochwasser. Somit handelte es sich im ostfriesischen Bereich um eine der höchsten Sturmfluten der vergangenen 100 Jahre, stellenweise gab es sogar neue Rekordmarken. Auch in Hamburg gab es eine schwere Sturmflut mit einem Höchstwasserstand von 2,58 m über dem mittleren Tidenhochwasser.

Sturmflut in Cuxhaven-Sahlenburg
Dieses Foto, aufgenommen von Hartmut Mester, zeigt die Sturmflut in Cuxhaven-Sahlenburg am 1.11. in den Frühstunden zum Höhepunkt.

Erosion eines Dünenzuges auf Norderney
Eilbertus Sürenberg hat uns diese enorme Erosion eines Dünenzuges auf Norderney am Tage des 1.11., verursacht durch die schwere Sturmflut am Morgen, zur Verfügung gestellt.

Bis zum Mittag des 1.11. verlagerte sich der Schwerpunkt des Druckgradienten unter Abschwächung in den Nordosten Deutschlands. An der Ostseeküste gab es meist Spitzenböen bis etwa 100 km/h. Im Binnenland wurden verbreitet Sturmböen über 75 km/h gemessen. Auch in Österreich wirkte sich das Windfeld aus: Nachmittags lagen die Böenmaxima in Niederösterreich in den tieferen Lagen bei 60 bis 83 km/h. Der Druckgradient verlor bis zum Mittag zwar an Intensität, dennoch reichte es auch an der Ostseeküste für eine mittlere bis schwere Sturmflut. Am stärksten wirkte sich das Hochwasser von Kiel bis Fehmarn und an der mecklenburgischen Küste aus. Auf Hiddensee stieg das Wasser nur 1,10 m über normal, hier wäre Nordoststurm gefährlicher. Der Pegel in Kiel registrierte einen Höchstwasserstand von 1,75 m über mittlerem Hochwasser. Für Kiel war dies die fünftschwerste Sturmflut seit 100 Jahren. In Wismar stieg das Hochwasser 1,78 m über normal (sechstschwerte Sturmflut seit 100 Jahren für die Hansestadt). Der Wasserstand am Pegel in Heiligenhafen erreichte 1,81 m über normal (zweithöchste Sturmflut seit 1969). In Heiligenhafen wurden Teile der Stadt überschwemmt, es gab große Schäden und einen längeren Stromausfall. Mehr als 150 Helfer waren allein hier im Dauereinsatz. Überschwemmungen waren ansonsten in zahlreichen Häfen von Flensburg bis nach Warnemünde zu beobachten.

BRITTA I löste sich bis zum Abend des 1.11. als Tiefkern auf und so blieb ein Tiefkern mit 982 hPa übrig, der weiter nordostwärts zog. Auf der Rückseite des Tiefs stellte sich eine kräftige Nordströmung mit Advektion polarer Kaltluft ein, die durch Kurzwellentröge mit korrespondierenden Regen-, Schnee-, Schneeregen- und Graupelschauerstraßen nach Mitteleuropa geweht wurde und zum ersten Wintereinbruch mit Schneefällen vor allem in den Mittelgebirgen sowie in den Alpen führte. Die Temperatur sank im 500 hPa-Niveau auf -35°C, in der 850 hPa-Druckfläche auf -5 bis -10°C.

Am 2.11. verlor das sich abschwächende und nach Russland abziehende Tief an Einfluss auf das Wetter in Deutschland. Die Großwetterlage änderte sich dergestalt, dass sich ein umfangreicher Trog über Osteuropa nach Süden erstreckte und ein ausgeprägter Hochkeil über Westeuropa nach Norden. Dazwischen lag Mitteleuropa in kalter Nordströmung.

Gesamtschneehöhen im alpinen Raum
3.11. morgens um 7 Uhr MEZ

  • 60 cm - Zugspitze (2961 m)
  • 56 cm - Schmittenhöhe (1940 m, AT)
  • 40 cm - Mondsee (491 m, AT)
  • 35 cm - Radstadt (862 m, AT)
  • 24 cm - Zell am See (750 m, AT)

Auch auf einigen Mittelgebirgsgipfeln Deutschlands wurde es weiß:

  • 18 cm - Fichtelberg (1213 m)
  •   9 cm - Kahler-Asten (839 m)
  •   9 cm - Medebach-Schlossberg (785 m)
  •   8 cm - Wasserkuppe (921 m)
  •   6 cm - Neuhaus am Rennweg (845 m)


Satellitenbild mit Wolkenobergrenzentemperaturen
Infrarot-Satellitenbild mit Wolkenobergrenzentemperaturen
Das IR-Satellitenbild mit eingefärbten Wolkenobergrenzentemperaturen zeigt am 1.11. morgens um 4 Uhr MEZ den Orkanwirbel mit seinem stärksten Druckgradienten an der Nordseeküste. Die Wolken sind nicht sonderlich hochreichend, wie die Temperaturen zeigen, dennoch gehen mit der rückgeführten Okklusionssprirale im Nordwesten Deutschlands schauerartig verstärkte Regenfälle nieder. Vom Polarmeer bis zur Nordsee bzw. bis nach Deutschland verläuft auf der Rückseite des Orkanwirbels eine Straße kräftiger Schauer, die mit hochreichend kalter Luft in Zusammenhang steht und den ersten Kaltlufteinbruch der Saison in Mitteleuropa ankündigt.

NOAA-Satellitenbild
NOAA-Satellitenbild
Das hochaufgelöste NOAA-Satellitenbild zeigt den Orkanwirbel über Polen. Auf seiner Rückseite gelangt polare Kaltluft mit Schauerstraßen nach Mitteleuropa. Im Bereich der rückgeführten Okklusion fällt in Mecklenburg-Vorpommern sowie in Brandenburg gebietsweise Regen, der vor allem durch den so genannten Ostseestrich im Raum Fehmarn - Nordwestmecklenburg - Hansestadt Wismar ergiebig war. Die Niederschläge erreichten Mengen zwischen 20 und 30 l/m², auf Fehmarn selbst wurden laut Niederschlagssummenkarte von MeteoGroup auch Mengen von bis zu 40 l/m² erreicht. Klassisch bei Nord- bis Nordwestwetterlagen wirkt sich der Norwegenföhn mit weitgehender Wolkenauflösung über der Nordsee und Dänemark bis nach Schleswig-Holstein, Hamburg und weiter zum Nordrand des Harz' aus.

Vorhersage
Die führenden Vorhersagemodelle nationaler und internationaler Wetterdienste hatten die Entwicklung eines Orkantiefs etwa 70 bis 90 Stunden vor Eintreffen des Ereignisses in ihren Simulationen schon sehr gut erfasst. Sie prognostizierten außerdem einen Kaltlufteinbruch auf der Rückseite des Tiefs (vgl. Animation des ECMWF-Modells unten links). Die Meteorologen der UWZ wiesen bereits zwei bis drei Tage vorher auf die Entwicklung eines möglichen schweren Sturms im Lagebericht hin. Die Windfeldprognosen gingen 36 bis 48 Stunden zuvor noch ein wenig auseinander, was sowohl an der unterschiedlichen Auflösung der Modelle lag, als auch an unterschiedlichen Berechnungsergebnissen. 12 bis 6 Stunden vor Eintreffen des Sturms berechneten so ziemlich alle Modelle übereinstimmend einen markanten Orkan für die Nordseeküste und den Brocken. Das EZ-MOS beispielsweise rechnete im 12 UTC-Lauf vom 31.10. für die Nacht zum 1.11. Spitzenböen an der Nordseeküste zwischen 115 und 130 km/h, auf dem Brocken 135 km/h. Im Flachland West-, Nord- und Ostdeutschlands lagen die Böenprognosen des EZ-MOS' verbreitet zwischen 70 und 90 km/h. Die Meteorologen der UWZ gaben daher am Abend des 31.10. rote Akutwarnungen für Orkanböen zwischen 120 und 130 km/h für die ost- und nordfriesischen Inseln heraus. Im Flachland wurden verbreitet Orange-Warnungen für 80 bis 90 km/h ausgegeben, in Richtung Nordseeküste im Binnenland auch rote Warnungen mit Böen bis 115 km/h.

Der 18 UTC-Lauf des UKMO NA vom 31.10. berechnete für den 3 UTC-Termin am 1.11. plötzlich ein markantes Orkanfeld mit 75 bis 80 kn (139 bis 148 km/h). Dieser Trend bestätigte sich in der Nacht und die UWZ-Meteorologen gaben vorübergehend violette Akutwarnungen für Böen um 140 km/h an der Nordseeküste aus. Auch weiter ins Landesinnere weitete sich ein Streifen mit roten Akutwarnungen für Böen bis 110 km/h aus. Ein ähnliches Modell-Szenario hatte sich bei Randtief RENATE (Tief Nr. 2) gezeigt, wobei ebenfalls 3 bis 6 Stunden vorher die Entwicklung des Windfeldes verstärkt berechnet wurde und sich letztlich in den gemessenen Böen bestätigte.

Im Tagesverlauf sollte das Windfeld durch Druckgradientabnahme an Intensität verlieren. Für den Osten Deutschlands bestand aber dennoch die Gefahr von Sturmböen. Auf der Tiefrückseite deuteten verschiedene Modelle noch einmal eine Zunahme der Druckgegensätze an, was darauf schließen ließ, dass im Bereich der Schauerstaffeln der vertikale Impulstransport Sturmböen bis ins Flachland heruntermischen könnte. Am Nachmittag des 1.11. waren weite Teile Deutschlands orange gewarnt, weil bis nach Oberbayern warnrelevante Windböen erreicht wurden.

Zum Schluss sollte noch auf die Prognosegüte der zu erwartenden Sturmflut eingegangen werden. Sturmflutexperten der MeteoGroup gingen bereits am 31.10. morgens in ersten Abschätzungen für den Morgen bzw. Vormittag des 1.11. von einer Sturmflut aus, über deren Ausmaß aber noch keine genaue Aussage getroffen werden konnte. Auf Grund der mäßig starken Modelloutputs zu dieser Zeit wurde in Nordfriesland von Wasserständen zwischen 1 und 1,5 m über mittlerem Hochwasser ausgegangen, von Cuxhaven bis nach Hamburg von Werten bis etwa 2 m und in Ostfriesland von 2 bis 2,5 m. Für die Ostseeküste wurde eine Sturmflut bis etwa 1,50 m über Normal erwartet. Erst wenige Stunden vor den angekündigten Höchstständen zeichnete sich ab, dass durch die extrem heftige Entwicklung des Windfeldes und das genaue Timing zum Hochwasser vor allem in Ostfriesland deutlich höhere Wasserstände erreicht werden. Dagegen wurden von der Elbe bis nach Nordfriesland etwa die vorhergesagten Werte erreicht.

Schneefallgrenze über Gelände
Schneefallgrenze über der Orographie
Diese Animation zeigt den prognostizierten Verlauf des Kaltlufteinbruchs an Hand des ECMWF-Modells per Schneefallgrenze über Orographie im Abstand von 6 Stunden. Die erste Karte veranschaulicht die noch vorhandene sehr milde Luft (Schneefallgrenze von teils über 2000 Meter über der örtlichen Gegebenheit) und im Laufe der Animation wird deutlich, wie markant sich die kalte Luft zunächst in den Mittelgebirgen und letztlich bis in die Tieflagen durchsetzte. Lediglich im äußersten Westen und Nordwesten sollte es etwas milder bleiben. Und diese Prognose bestätigte sich weitgehend.

Spitzenböen (ab 104 km/h) - 30.10. 14 Uhr bis 02.11. 6 Uhr
Quellen der Daten: Messnetze MeteoGroup, DWD, Auswahl

  • 148 km/h - Brocken
  • 144 km/h - Harlesiel-Flugplatz
  • 141 km/h - Baltrum, Borkum (MM), Pellworm
  • 137 km/h - Langeoog
  • 135 km/h - Wangerooge
  • 128 km/h - Esens-Bensersiel, Helgoland-Oberland
  • 126 km/h - Juist-Flugplatz
  • 124 km/h - Neuharlingersiel, Norden-Norddeich
  • 122 km/h - Norderney, Spiekeroog, Wendelstein
  • 120 km/h - Emden (MM), Hörnum/Sylt
  • 119 km/h - Helgoland-Südhafen, Hiddensee-Dornbusch
  • 117 km/h - List/Sylt-Ellenbogen
  • 115 km/h - Altenberg/Erzgebirge, Kabelsketal
  • 111 km/h - Krummhörn-Greetsiel, St. Peter-Ording
  • 109 km/h - Beverungen-Drenke, Hooksiel
  • 107 km/h - Emden, Fichtelberg, Hallig Gröde, Hornumersiel
  • 106 km/h - Amrum
  • 104 km/h - Großer Kornberg


Diese Analyse wurde von Manfred Spatzierer, Stefan Laps und Thomas Sävert, Meteorologen der Unwetterzentralen Deutschland und Österreich, im November 2006 erstellt.

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